Zum Buch:
„Gebrochen-Weiß, das ist die Farbe von Bittermandeln und Süßmandeln, wenn du die braune Haut abschälst“, sagt Oma Bee zu ihrer Enkelin Imker. Gebrochen-Weiß, das ist in der kreolisch geprägten Hauptstadt der niederländischen Kolonie Suriname auch die bevorzugte Hautfarbe.
Astrid Roemer, mehrfach ausgezeichnete Autorin und selbst in Paramaribo geboren, lässt in Gebrochen-Weiß drei Generationen Frauen einer Familie sprechen, die so bunt gemischt ist wie die Gesellschaft selbst. Ein aufwühlendes und mitreißendes Familienepos.
Für die 16-jährige Imker ist es gar keine Frage: Sie zieht fort aus dem Haushalt ihrer Mutter Louise zu Großmutter Bee, als ihre Oma, schwer krank und alt, in ihrem Haus im Viertel Zorg & Hoop alleine nicht mehr zurechtkommt. Zwischen den beiden Frauen wächst mit jedem Tag nicht nur das Verständnis füreinander, auch der Altersunterschied zwischen den beiden spielt eine immer geringere Rolle, je näher die Großmutter dem Tod kommt. Sie backen, kochen, lachen und weinen miteinander. Die Scham, sich nackt zeigen zu müssen, löst sich im gemeinsamen Baden, die Scham über die unaussprechlichen Geschehnisse in der Familie löst sich im wortlosen oder wortreichen Mitteilen.
Kurz vor Imkers Umzug ist ihre älteste Schwester Heli wegen einer Affäre mit ihrem verheirateten Professor in den Flieger gesetzt worden. Heli landet in Utrecht, erlebt die schmerzliche Entfernung von ihrer Mutter und den Geschwistern, lernt am Flughafen ihren Vater kennen, erlebt Herbst und Winter im Europa der 1960er Jahre und wird mit der Vergangenheit dieses Kontinents in der eigenen Familiengeschichte konfrontiert.
Roemer verwebt die Stimmen von Mutter Louise, ihren vier Kindern und deren Großmutter zu einem ausdrucksstarken Roman, in dem die Sprechenden wechseln: In jedem neuen Abschnitt wird ein weiterer blinder Fleck der Familiengeschichte zunächst erahnbar, dann sichtbar, und schon transportieren die sprachlichen Bilder die Verknüpfung mit der Geschichte der gemischten Gesellschaft des Landes und weiter zur Weltgeschichte. Großartig, wie Astrid Roemer diese zweite Ebene in einfachen Bildern sichtbar macht.
Susanne Rikl, München