Zum Buch:
Beta arbeitet als Junior-Quality-Assurance-Testerin in einem Berliner Startup, in dem man ihr beim letzten Feedback-Gespräch eine „Can-Do-Ausstrahlung“ bescheinigt hat. Ihr Arbeitsplatz lässt keine Wünsche offen: Panoramafenster, alle möglichen virtuellen und realen Spielgeräte, Cold-Brew-Kaffeemaschine, einen Entspannungsraum mit Aquarium, sportliche Team-Ausflüge an den Wochenenden und vor allem viel Zeit für ihre Hobbys: das Erdbeereis aller Eisdielen im Umfeld probieren, auf dem häuslichen 3D-Drucker Miniaturvögel bauen und gelegentliche One-Night-Stands über Tinder. Nach einem eher unerfreulichen Aufwachen nach einem Erlebnis dieser Art bekommt sie das Angebot, ein App herunterzuladen, einen ganz speziellen morgendlichen Weckruf, bei dem man von anonym bleibenden fremden Menschen aus aller Welt zur festgelegten Zeit mit einem höchstens dreiminütigen Gespräch geweckt wird – ein Gespräch, so die Werbung, macht morgens eben schneller wach als der ordinäre Wecker. Auf diese Weise kommt sie in Kontakt mit einem Mann, dessen Profilbild eine Maske ist und der sie mit technischen Rätseln auf die Spur des avantgardistischen Künstlerpaares Walter Holdt und Lavinia Schulz bringt, die sich als Schauspieler und Tänzer Anfang der 1920er Jahre in einer Kunst versuchten, die sich jeder Verwertbarkeit widersetzte. Und die Geschichte dieses Paares und insbesondere Lavinias bringt Betas Leben im folgenden völlig durcheinander …
Berit Glanz führt uns in Pixeltänzer die aktuelle Welt der Virtualität mit ihren teils absurden, teils kindlichen und teils sektenartigen Zügen auf höchst unterhaltsame, aber auch immer wieder erschreckende Weise vor Augen, indem sie sie mit einem Leben kontrastiert, in dem es um die reale, körperliche Umsetzung künstlerischer Ideen geht, mit allem, was an Schmerz, Not und Gewalt damit verbunden ist. Lavinias tragische Geschichte, die als Roman im Roman eingesetzt wird, führt Betas höchst anstrengende „Spaßkultur“ ad absurdum und bietet ihr einen ganz neuen Blick auf ihre eigene Existenz, in der die eigene Widerständigkeit immer wieder ins Leere läuft. Pixeltänzer leistet einen sehr spannenden Beitrag zum Verständnis der Veränderungen unserer oft so unverständlichen Gegenwart – und zur Einsicht in das, was bleibt: die Verweigerung der Anpassung und das Bestehen auf der eigenen Individualität. Sehr zu empfehlen!
Irmgard Hölscher, Frankfurt a. M.