Zum Buch:
André Gorz gehört zu jenen Autoren, deren Name rundum bekannt ist, dessen Leben, dessen Werk und dessen politische Bedeutung aber eher schemenhaft existieren. Der in Frankreich lehrende Philosophiehistoriker Arno Münster bietet mit seinem Essay eine kurze und kompetente Einführung in das Werk und die Bedeutung des Ökosozialisten der ersten Stunde. Lange bevor es zuerst in Frankreich, mit einigen Jahren Verspätung auch in Deutschland eine linke ökologische Bewegung gab, hatte Gorz schon die theoretischen Grundlagen für einen Ökosozialismus jenseits von autoritärem Staatssozialismus und naturzerstörerischem Kapitalismus formuliert.
Geboren wurde Gorz in Wien als Sohn eines jüdischen Unternehmers, der seinen Sohn angesichts der nahenden antisemitischen Barbarei 1939 in die Schweiz zur Ausbildung schickte. Nach dem Abitur in einem Internat in Graubünden studierte Gorz in Lausanne Chemie. Er hatte gerade sein Diplom gemacht, als er 1946 einen Vortrag von Jean-Paul Sartre hörte, der sein Leben fortan prägte wie sonst nur die Schauspielerin Doreen (französisch Dorine) Kay. Diese heiratete Gorz 1947 und mit ihr zusammen ging er 60 Jahre später – am 24.9.2007 – in den Freitod, weil sie todkrank war und er sich ein Leben ohne sie nicht zumuten wollte. Sein letztes Werk („Lettre à D.“ 2006; ein Jahr später auch auf Deutsch: „Brief an D.“), in dem er den gemeinsamen Freitod andeutete, gehört zu den eindrücklichsten Selbstbekenntnissen der neueren Literatur wie schon seine Lebensbeschreibung unter dem Titel „Le traître“ (1958) bzw. „Der Verräter“ (1980).
Gorz war 1951 Mitarbeiter bei „Express“ und 1964 Mitbegründer und Mitarbeiter (bis 1984) des „Nouvel Oberservateur“, wo unter dem Pseudonym Michel Bosquet 1977 grundlegende Essays erschienen, die unter dem Titel „Ökologie und Freiheit“ als Buch herauskamen. Obendrein gehörte Gorz zum Redaktionskomitee von Sartres Zeitschrift „Temps modernes“ – der wichtigsten Zeitschrift der linken französischen Intellektuellen. Sartre war zwar, wie Münster betont, Gorz‘ „Leitfigur“, aber Gorz folgte Sartre nicht in die politischen Sackgassen der zeitweiligen Bewunderung von Sowjetkommunismus und studentischem Bistro-Maoismus. Er behielt politisch wie philosophisch Distanz zu Sartre und begründete eine autonome Position als sozialistischer und radikaldemokratischer Linker jenseits von staats- und parteimarxistischen Dogmen.
Gorz kritisierte Marx und den Marxismus, blieb jedoch dem Kern der Marxschen Theorie treu, obwohl er deren geschichtsphilosophische Überladung mit dem Proletariat als privilegiertem Agenten der Weltgeschichte ablehnte. Für Gorz blieb – darin war er Sartre verpflichtet – das Individuum im Zentrum, dessen Befreiung aus der Entfremdung er sich nur vorstellen konnte als Akt der selbstbestimmten Kooperation der Subjekte und nicht als Parteiveranstaltung unter autoritärer Führung. In seiner ökologisch fundierten Kritik an kapitalistischem Wachstum und Produktivismus blieb der Marxsche Gedanke zentral, dass sich Freiheit nicht in unbeschränktem Konsum, sondern in frei „verfügbarer Zeit“ („disposable time“) jenseits des Diktats der Kapital- und Fabriklogik realisiere. Anders gesagt: Befreiung meinte für ihn immer auch Befreiung von der Arbeit und nicht nur Befreiung von Not durch Arbeit. Das war der oft missverstandene Sinn seiner Bücher „Abschied vom Proletariat“ (1980) und „Wege ins Paradies. Thesen zur Krise, Automation und Zukunft der Arbeit“ (1983). Die wichtigsten seiner Bücher sind im Zürcher Rotpunktverlag greifbar und Arno Münster referiert deren Inhalt in seinem Essay kurz und prägnant.
Rudolf Walther, Frankfurt am Main