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Die Welt nach den Imperien

Autor
Getachew, Adom

Die Welt nach den Imperien

Untertitel
Aufstieg und Niedergang der postkolonialen Selbstbestimmung. Aus dem Englischen von Frank Lachmann
Beschreibung

„Wir haben Deutschland besiegt, aber nicht seine Ideen“ (143) – so der Kommentar von W.E.B. Du Bois, dem bekannten Schriftsteller des Panafrikanismus, angesichts der Gründungskonferenz der Vereinten Nationen in San Francisco unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Denn 1945 schien sich als Farce das zu wiederholen, was bereits 1919 der Welt als Tragödie geschehen war: Anstatt die systemischen Ursachen von Krieg und Vernichtung zu erkennen und zu bekämpfen, nämlich den außer Kontrolle geratenen imperialen Wettlauf um die Ausbeutung möglichst großer geostrategischer Blöcke, machten sich die Alliierten sofort daran, die alten Systeme der Kolonialreiche so schnell wie möglich wieder einzusetzen.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Suhrkamp Verlag, 2022
Seiten
448
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-518-58789-8
Preis
34,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Adom Getachew ist eine äthiopisch-amerikanische Politikwissenschaftlerin und Neubauer Family Assistant Professor of Political Science an der University of Chicago. Sie schreibt u. a. für die New York Times, die Boston Review und Dissent. Ihr Buch Die Welt nach den Imperien ist vielfach preisgekrönt.

Zum Buch:

„Wir haben Deutschland besiegt, aber nicht seine Ideen“ (143) – so der Kommentar von W.E.B. Du Bois, dem bekannten Schriftsteller des Panafrikanismus, angesichts der Gründungskonferenz der Vereinten Nationen in San Francisco unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Denn 1945 schien sich als Farce das zu wiederholen, was bereits 1919 der Welt als Tragödie geschehen war: Anstatt die systemischen Ursachen von Krieg und Vernichtung zu erkennen und zu bekämpfen, nämlich den außer Kontrolle geratenen imperialen Wettlauf um die Ausbeutung möglichst großer geostrategischer Blöcke, machten sich die Alliierten sofort daran, die alten Systeme der Kolonialreiche so schnell wie möglich wieder einzusetzen – wenn auch nicht immer mit unmittelbarer Gewalt wie vorher, sondern mit dem trojanischen Pferd der sogenannten „Selbstbestimmung“.

Um diese verpasste Achsenzeit zu verstehen, deren Geschichte Adom Getachew mit großer Detailverliebtheit zeichnet, muss man ans Jahr 1917 zurückdenken. Wladimir Lenin setzte mit seinen berühmten Aprilthesen die Debatte um das Recht auf Selbstbestimmung der Nationen auf die Tagesordnung und brachte damit die westlichen Beobachter zum Rotieren. Auch dem damaligen US-Präsidenten Woodrow Wilson blieb gar nichts anderes übrig, als das Prinzip der Selbstbestimmung in seinen berühmten 14 Punkten festzuschreiben. Getachew rekonstruiert Wilsons politische Theorie und kommt zu dem Schluss, dass diese Entwicklung nicht auf Wilsons liberale Überzeugung zurückzuführen ist, sondern sich ausschließlich als eine frühe Form der antikommunistischen Containment-Politik erklären lässt. Und so wurde der Begriff der Selbstbestimmung von der Maschinerie des atlantischen Liberalismus in die Zange genommen, bis er im Einklang mit der neuen kolonialen Konstellation stand. Fortan bedeutete „Selbstbestimmung“ in den Worten Jan Smuts, Architekt des ungleichen Mandatsystems des Völkerbunds, schlicht „die Schaffung paralleler Institutionen“ (99) – mit einem Wort, Apartheid, wie sie 1948 schließlich in Südafrika staatsoffizielle Politik wurde.

Die Folgen dieses Umdenkens sehen und spüren wir bis heute, und zwar gerade auch in den Begriffen, in denen wir die internationale Ordnung denken und kritisieren. Getachew betont, wie sehr sich der dekoloniale Kosmopolitismus der Nachkriegszeiten, der sich im Schatten der schwankenden Imperien bildete, von dem kleinteiligen und uninspirierten methodologischen Nationalismus der heutigen Entwicklungspolitik unterscheidet, der leider auch in der linken Kritik an solchen Projekten nicht abwesend ist.

Eine Empfehlung für Leserinnen von Elsa Dorlin und David Reybrouck und generell für alle, die sich für eine kritische Theorie der internationalen Beziehungen interessieren, die nicht nur in ökonomischen Zahlen, sondern auch in Begriffen und Ideologien denkt.

Florian Geissler, Karl Marx Buchhandlung, Frankfurt