Zum Buch:
„Samijlo Nemyrytsch, dieser zu früh verdorrte und unglücklich vergessene Spross am Baum unseres nationalen Banditentums, zieht vor allem stilistisch Aufmerksamkeit auf sich, und die außergewöhnliche Schönheit seiner Verbrechen gründet auf absoluter Freiheit.“
Damit beginnt der neue Roman des ukrainischen Ausnahme-Schriftstellers Juri Andruchowytsch, und was die absolute Freiheit anbelangt, so darf hier mit Fug und Recht behauptet werden, dass der Autor gerade dadurch überzeugt, dass er sich selbst die größtmögliche Freiheit zugesteht – und es dabei mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Die Lieblinge der Justiz ist, wie es im Untertitel heißt, ein parahistorischer Roman, und Andruchowytsch macht es sich in seinen achteinhalb Kapiteln zur Aufgabe, den Leser über angeblich historisch verbriefte Geschehnisse zu unterrichten, die im Zeitraum vom frühen 17. Jahrhundert bis zur nationalsozialistischen Besatzungszeit kurz vor Kriegsende hauptsächlich in Galizien, der Heimatregion des Autors stattgefunden haben sollen und, wenn sie nicht komplett erfunden sind, so doch zumindest eine alternative Sichtweise auf die Geschichte zulassen.
Und so arbeitet sich der namenlose Erzähler und Chronist durch eine Fülle bizarrer Ereignisse, die allesamt mit Verbrechen und deren Sühne zu tun haben, wirft mit Namen und Zahlen um sich, stellt Versionen ein und der selben Geschichte zur Verfügung, nennt hierfür Gründe, die einem – auf den ersten Blick – ganz vernünftig erscheinen wollen und sich dann doch als völlig haltlos erweisen, gibt vor, später genauer darauf einzugehen, was er dann doch nicht tut, lässt sich zwischendurch über haarsträubende Erfindungen und Gebräuche aus, schweift ab, kommt ins Plaudern.
Und all das Geflunker nimmt man ihm an keiner einzigen Stelle übel. Ganz im Gegenteil: Seine überbordende Fabulierkunst ist ebenso atemberaubend wie das Panoptikum an skurrilen Schurken, welches er hier auflaufen lässt.
Die Lieblinge der Justiz ist zwar ein reiches Füllhorn an Ideen, das mit schwarzem Humor und feinster Ironie aufwartet. Doch Juri Andruchowytsch kann auch anders, und immer nimmt er seine Aufgabe sehr, sehr ernst.
Deshalb: Wer den Autor noch nicht kennt, der sollte das schleunigst ändern.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln