Zum Buch:
73 oder 74 nach Christus. Auf einem Tafelberg am Toten Meer haben sich rund 970 aufständische Juden in eine Befestigungsanlage zurückgezogen, die vor einigen Jahren noch luxuriöser Rückzugsort für Herodes den Großen gewesen ist. Die Situation ist ohne Ausweg, den Belagerten ist klar, dass sie dem Sturm der römischen Truppen nicht werden standhalten können. Tag für Tag, so ist es von der Festung aus zu beobachten, kommt die 8000 Mann starke, eiskalt nach Plan operierende Maschinerie näher, gut geölt durch eiserne Disziplin und turmhohe technische Überlegenheit. Stunde um Stunde häufen Legionäre Erde und Schutt zu einer breiten Belagerungsrampe auf, die bis an die Mauern der Feste führt. Mit unerschöpflichen Kräften, wuchten die römischen Soldaten einen eisernen Belagerungsturm und einen Rammbock an die Mauern. Unter dem nie abreißenden Pfeilhagel ist es den Aufständischen kaum möglich, etwas gegen die gnadenlosen Belagerer auszurichten. Das Schicksal der Eingeschlossenen ist endgültig besiegelt, als die erste Mauer fällt und die zweite, die notdürftig aus Stein, Holz und Schutt aufgerichtet wurde, in Flammen aufgeht. Eleasar ben Ja´ir, Befehlshaber der Festung, richtet sich im Angesichts des Untergangs mit einer ergreifenden Rede an seine Leute, in der er darlegt, dass es besser sei, durch die eigene Hand einen edlen Tod zu sterben, als durch die Römer geschändet, verkauft und vernichtet zu werden. Und so kommt es schließlich, dass die Legionäre von einer unheimlichen Ruhe empfangen werden, als sie über die Trümmer der Mauer ins Innere der Feste steigen: Die belagerten Juden haben sich dem Zugriff der Legion, des Imperiums entzogen, indem sie kollektiv Selbstmord begangen haben.
Starker Stoff, der alles bietet, was eine echte Tragödie bieten muss, und eine der dramatischsten Episoden aus dem Jüdischen Krieg. Folgt man Flavius Josephus, dem jüdisch-römischer Historiker und Chronisten, der den Fall Masadas in seinem Buch Der Jüdische Krieg minutiös schildert, hat sich die Belagerung genau so zugetragen. Interessant ist allerdings, dass er der einzige antike Autor ist, der diese Geschichte so ausführlich und mit diesem außergewöhnlichen Ende erzählt. Es ist mittlerweile weithin bekannt, dass an die antike Geschichtsschreibung nicht die Maßstäbe wissenschaftlich-objektiver Berichterstattung angelegt werden dürfen, die heute glücklicherweise in der Zunft gelten: Immer gab es Herrscher, denen man zu gefallen hatte, eigene Überzeugungen, die keineswegs zurückgehalten werden mussten.
Aufgrund dieses Umstands unterstellt man diesen antiken Quellen heute sicherheitshalber eine gewisse Tendenz in Sachen Berichterstattung und versucht, Belege für oder gegen diese Berichte zu finden. An dieser Stelle kommt natürlich der Archäologie eine tragende Rolle zu.
Die amerikanische Archäologin und Religionswissenschaftlerin Jodi Magness hat sich in ihrem Buch Masada – Der Kampf der Juden gegen Rom daran gemacht, das Geschehen auf der Bergfeste zu untersuchen. Aber nicht nur das: Mit großer archäologischer und religionswissenschaftlicher Expertise nimmt sie den Leser mit auf eine Reise durch die antike Landschaft in der direkten Umgebung Masadas, beschreibt geschichtsträchtige Orte wie En Bokek und Qumran, zieht schließlich, leicht verständlich und wohl geordnet, immer weitere Kreise. Die Feste „Masada“ bildet gewissermaßen den Start- und Endpunkt einer wissenschaftlichen Exkursion in die antike Geschichte der Region, die neben den zentralen Figuren und Orten sehr genau die religiösen und sozialen Spannungen beschreibt, die diesen Teil der alten Welt in besonderem Maße erschüttert haben.
Die römische Annexion, die zahllosen Aufstände und Verwerfungen, die aus der Konfrontation zwischen Monotheismus und Polytheismus, zwischen religiösem und sehr weltlichem Leben resultierten, die Vielzahl an jüdischen Sekten, die sich gegenseitig bekämpften, und immer wieder der erbitterte Kampf um die uneingeschränkte Herrschaft beschreiben das überkomplexe Spannungsfeld, in dem schließlich der Jüdische Krieg ausbricht, in dem Jerusalem von Titus zerstört und wenige Jahre später Masada ausgelöscht wird.
Geschichte ist relevant und wirkt, wenn man sie vor dem Vergessen schützt, immer weiter fort. Das Buch von Jodi Magness ist, bei aller ganz offensichtlichen fachlichen Begeisterung für den Untersuchungsgegenstand – was für eine Freude ist es, von den in Qumran gefundenen Schriftrollen zu lesen, zu erfahren, dass und wie auf Masada Stoffe gewebt und Brot gebacken wurde –, ein großes Plädoyer für den richtigen Umgang mit den spärlichen historischen Fakten. Nie lässt sie sich zu einer ungerechtfertigten Eindeutigkeit hinreißen, „vielleicht“ und „könnte“ sind häufige Wörter, Theorien und Gegentheorien stehen gleichberechtigt nebeneinander.
Und so lässt dieses großartig präzise und kompakte Buch, das ein Lehrstück an objektiver Wissenschaft genannt werden könnte, den Leser etwas kritischer auf die großartig-dramatische Erzählung von Flavius Josephus blicken.
Johannes Fischer, autorenbuchhandlung maex & co, Frankfurt