Zum Buch:
Montag, 17. Februar 1933: Walter Mehring ist auf dem Weg zu einer Versammlung des Schutzverbands deutscher Schriftsteller. Ein Freund aus dem Außenministerium hat ihm den dringenden Rat gegeben, Deutschland umgehend zu verlassen, und den will Mehring noch an so viele Schriftstellerkollegen wie möglich weitergeben. Auf der Straße vor dem Versammlungsort kommt ihm Mascha Kaléko entgegen. “‘Mehring’ zischt sie ihm zu, ‘Sie müssen sofort verschwinden! Da oben ist die Hakenkreuz-Hilfspolizei mit einem Haftbefehl für Sie!’” Mehring kehrt auf der Stelle um, geht, nur mit dem, was er am Leibe hat, zum Bahnhof und fährt mit dem nächsten Zug Richtung Grenze.
Dies ist eine kurze Szene aus Uwe Wittstocks neuem Buch Februar 33. Der Literaturkritiker und Buchautor hat diesen einen Monat (genau gesagt 40 Tage) aus der jüngeren Geschichte Deutschlands ausgewählt und zeigt, in welch atemberaubender Geschwindigkeit eine zwar instabile, aber frei gewählte Demokratie in eine Diktatur stürzt. Dafür greift er den Bereich der Kultur heraus, insbesondere die Literatur. Den einzelnen Tagen folgend beschreibt der Autor, wie die Nationalsozialisten durch “Notverordnungen”, Gesetzesbrüche, willkürliche Verhaftungen und blankem Terror der Schlägerbanden das Netz um ihnen missliebige Personen immer enger zogen.
Wer kann, betreibt auf schnellstem Weg seine Ausreise, und vielen gelingt es nicht, die dafür nötigsten Dinge mitzunehmen. Oft reicht es nur für einen kleinen Koffer und etwas Geld oder – wie im Fall Mehring – nur für das, was sich gerade in den Manteltaschen befindet. Dabei ist es gleich, ob es sich um erfolgreiche Schriftsteller wie Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger und Erich Maria Remarque handelt oder um die, die wie Else Lasker Schüler am Existenzminimum leben. Die, die bleiben – weil sie es nicht geschafft haben, das Land zu verlassen, weil sie die Lage verkannt haben oder dachten, erfolgreich Widerstand leisten zu können –, werden bitter dafür bezahlen. Die meisten werden in den kommenden Jahren inhaftiert, ins KZ gesperrt, gefoltert und umgebracht, wer überlebt, tut dies oft um den Preis der Selbstverleugnung.
All das ist eigentlich hinlänglich bekannt und müsste nicht unbedingt neu erzählt werden. Was Februar 33 über das Bekannte hinaus aber besonders macht, ist die Mischung aus akribisch genau recherchiertem, teilweise bisher nicht veröffentlichtem Archivmaterial, anekdotischer Erzählweise und dichter Montage. Dadurch erhält das Geschehen eine große Unmittelbarkeit, der man sich kaum entziehen kann. Februar 33 ist eine beklemmende, atmosphärisch dichte und packend erzählte Lektüre und – auch wenn es anhand des Gegenstandes unpassend erscheint – ein ungemein spannendes Buch.
Ruth Roebke, Frankfurt a. M.