Zum Buch:
Karl geht in Rente. Deutschland, 1980er Jahre. Er versucht seiner Tochter, die er seit acht Jahren nicht gesehen hat, einen Brief zu schreiben. Damit setzt ein schmerzhafter Blick auf sein Leben ein, ein Doppelleben. Karl ist schwul. Im Nachkriegsdeutschland steht Homosexualität unter Strafe, dazu kommt die moralische Ächtung. Nach dem Krieg sucht Karl Arbeit. Er ist stark und gutaussehend, bekommt einen Job in der Fabrik und beginnt eine Liebesbeziehung, ausgerechnet mit der Tochter des Fabrikbesitzers. Ein Kind wird geboren, aber Karl ist unzufrieden, zieht sich aus seiner Familie zurück und geht nach der Arbeit lieber in die Kneipe oder an den nahegelegenen See zum Schwimmen. Dort lernt er einen Mann kennen, verliebt sich – ohne zu verstehen, was es damit auf sich hat. Gerüchte verbreiten sich, Karl wird verprügelt, der Schwiegervater wirft ihn auf die Straße. Ratlos zieht Karl weiter, bekommt Arbeit in der Nähe von Frankfurt am Main. Dort gibt es eine Schwulenszene, versteckt und bedroht. Was folgt, ist keineswegs ein Coming-out. Karl lernt die freundliche Liselotte kennen, zusammen bekommen sie ein Kind, Hella. Wieder hält es Karl nicht lange aus in der klassischen kleinbürgerlichen Familienkonstellation. Die Unaufrichtigkeit gegenüber seiner Familie und seinem besten Freund ist dabei genauso bedrückend wie die rigiden gesellschaftlichen Normen. Seine Tochter Hella ist die Adressatin des Briefes, mit dem Karl sich so quält wie mit dem Akzeptieren der eigenen Sexualität.
Der Leipziger Zeichner Matthias Lehmann erzählt eindringlich und mit superbem Strich das Leben eines Mannes, der seine sexuelle Orientierung nie öffentlich gemacht hat. Die Zeichnungen sind dunkel, mitunter schmerzhaft schön, in keiner Weise jedoch reißerisch oder spekulativ. Vor allem aber findet Lehmann einen zeichnerischen Rhythmus, der Parallel emotionale Tiefe verleiht. Sieben Jahre hat Lehmann an dem 450 Seiten starken Band gearbeitet, und keine Seite zu viel. Ausgangspunkt seiner Recherchen war eine Biografie aus der Familie einer Freundin. In den Arbeitermilieus in DDR und BRD war Homosexualität eine Unmöglichkeit, aber auch die bürgerliche Gesetzgebung verhielt sich hier nicht liberaler. So ist Parallel auch eine beeindruckende Auseinandersetzung mit der noch nicht weit zurückliegenden deutschen Geschichte (ein zu begrüßender kleiner Trend im deutschen Comic). Sie zeigt, wie viel sich in unserer Gesellschaft hinsichtlich stärkerer Akzeptanz von Homosexualität getan hat. Aber wie aktuelle Studien zeigen, hat sich diese Haltung noch längst nicht überall durchgesetzt. Matthias Lehmanns Comic ist deswegen nicht nur eine eindrückliche, zeichnerisch brillant umgesetzte Erzählung, sondern auch ein wichtiges Buch.
Jakob Hoffmann, Frankfurt a.M.