Zum Buch:
Ferdydurke ist ein Roman, der nicht zuletzt in dem Sinne Weltliteratur ist, als dass er sich sehr freimütig mit Assoziationen und Entlehnungen daraus schmückt. Er setzt ein mit einer Szene, in der Josi, der Protagonist, zwischen Schlafen und Wachen nur mit Mühe zu sich selbst zurückfindet, eine Parallele zu einem der wohl berühmtesten Romananfänge überhaupt: Prousts Unterwegs zu Swan. Ab diesem Moment geht es mit Josi, kurz gesagt, bergab, und die Bezüge zu den größten Werken der Literaturgeschichte entpuppen sich als Persiflagen und Parodien. Josi hat mit 32 Jahren soeben seine Abhandlung über die Unreife vollendet, als ihn der Kulturphilologie und „Pauker“ Pimko geradewegs beim Wort nimmt und ihn als unreif in die Adoleszenz zurückverweist und wieder einschult. Dort versucht Josi vergebens, in sein altes Leben als Erwachsener zurückzufinden, dessen Voraussetzung gerade jene zumindest vordergründig konsistenten Persönlichkeit ist, die zu erreichen ihm unmöglich erscheint. Stattdessen begleitet die Leserin den verkindlichten Josi bei seinen Kämpfen zwischen verschiedensten Idealen der Kindheit und Jugend – die Unschuldigen und vom Pauker Pimko angefeuerten Unverdorbenen gegen die überschwängliche Sexualisierung und im Grunde selbst prüde Ausgelassenheit der Jünglinge, die es in die Natur zieht.
Es ist diesem kurzen Einblick in die Handlung leicht zu entnehmen, dass es sich bei Ferdydurke um einen sogenannten Ideenroman handelt: das Motiv der Unreife, das Gombrowicz auch in seinen übrigen Werken beschäftigt hat, wird nicht nur im Handlungsrahmen, sondern auch im Stil des Romans verhandelt und ausgestellt. Gombrowicz erweist sich in diesem Roman aus dem Jahre 1938 als enthusiastischer und zum Teil bitterbös zynischer Sprachspieler, der das menschliche Streben nach und die gesellschaftliche Relevanz von Vollständigkeit, Richtigkeit oder Rationalität gnadenlos auseinandernimmt.
Nicht zu Unrecht gilt Ferdydurke einerseits als internationaler Kultroman und andererseits als beständige Größe in der polnischen Literatur. In einer Gegenwartsliteratur, die den realistischen Roman, wenn nicht als Vorbild, so doch als gängige Form hat, kann der Einstieg in sein Werk durchaus etwas schwierig sein, nichtsdestoweniger lohnt es sich. Dieser Roman, der zugleich Abhandlung und Essay sein will, ist kurzweilig, lustig und wahnsinnig klug zugleich.
Theresa Mayer, Frankurt a.M.