Zum Buch:
Im internationalen Hafen von Split flanieren im Jahr 1936 Touristen aus ganz Europa. Aber auch deutsche Flüchtlinge – politisch Verfolgte, Juden, Intellektuelle – bevölkern die Straßen, ebenso wie Filmtrupps aus Deutschland, die in Goebbels’ Auftrag Propagandamaterial und Unterhaltungsfilme drehen. Bei den Einheimischen – den Fischern, den Marktfrauen und den bourgeoisen Schichten der Stadt – sind Kommunisten, überzeugte Mussolini-Anhänger und Mitglieder der Freimaurerloge gleichermaßen vertreten. Als nach einem opulenten Abendmahl bei einer der angesehensten Familien ein Gast erstochen am Matejuška-Hafen aufgefunden wird, geht eine Welle der Entrüstung durch die Hafenstadt.
Der Ermordete Darko Barić, ein junger, schöner Emporkömmling, hatte es in den letzten Jahren zu einem beachtlichen Vermögen gebracht und Lucrezia, der einzigen Tochter der Torchios, den Kopf verdreht. Aber nicht nur deswegen ist er an diesem Abend Teil der Abendgesellschaft, zu der auch der Apotheker Petrinelli, die Söhne des Hauses Torchio, Angelo und Domenico, der Ziehsohn Mauro und Goran Karaman, der Notar der Stadt, gehören. Barićs gesellschaftlicher Aufstieg wird damit sozusagen öffentlich. Seine Ermordung schiebt der Polizeipräsident denn auch gleich den Kommunisten in die Schuhe. Hier habe Kommissar Bulat nach einem Schuldigen zu suchen, vielleicht noch bei den Fischern, die Barić ebenfalls seinen Reichtum neideten.
Der alte Nisiteo, der den Toten auf seinen Netzen gefunden und in einer Schubkarre zum Präsidium gebracht hat, wird denn auch gleich inhaftiert. Doch Bulat will damit nur den wahren Schuldigen aus dem Schutzschirm der gesellschaftlichen Etikette locken, ein wenig die Situation anheizen. Das gelingt ihm auch fast, wären da nicht die ehernen Gesetze der Familienehre, der unüberwindbare ständische Stolz und das leise Entsetzen über das Weltgeschehen, das mit strammen Schritten auf eine einzigartige Katastrophe und den nächsten großen Krieg zu marschiert.
In diesem Roman, der über das Genre des Krimis weit hinausgeht, zeichnet Alida Bremer ein buntes, oszillierendes Bild der Sommermetropole. An allen Ecken zeugen die Gemäuer von den Glanzzeiten der Hauptstadt Dalmatiens. Eingestreut und ganz nebenbei erfährt man viel über die Vergangenheit dieser Perle der Adria. Zudem sind Bremers Figuren wunderbar lebendig, nur zu gern würde man die meisten über das Ende des Romans hinaus begleiten: Kommissar Bulat, den seine Geliebte verlassen wird, um nach Paris zu emigrieren; Frederick Achnitz, den jungen deutschen Kommunisten, der unter dem Tarnmantel der Filmindustrie nach Spanien flieht und seine große Liebe in Split zurücklassen muss; viele wären hier noch zu nennen. Sehr unterhaltsam, sehr gehaltvoll!
Susanne Rikl, München