Zum Buch:
Am 23. Februar 1945 wird der 12jährige Ernst Grube in das KZ Theresienstadt deportiert. Gut zwei Monate später wird das Lager durch die Rote Armee befreit. Grube war ein sogenannter „Mischling ersten Grades“ – so wurden nach den Nürnberger Rassengesetzen Kinder genannt, die ein jüdisches Elternteil hatten.
Kurt Weber arbeitet im 3. Reich ehrgeizig als Staatsanwalt. Die Verbindung mit seiner jüdischen Verlobten löst er auf. Sie steht seiner Laufbahn im Weg. Er unterzeichnet etliche Todesurteile. Nach dem Krieg macht er schnell Karriere in der Bundesrepublik.
Ernst Grube wiederum tritt zuerst in die FSJ, später in die KPD ein – beide Organisationen werden verboten. Vor dem Bundesgerichtshof stehen sich Ernst Grube und der mittlerweile zum Richter aufgestiegene Kurt Weber gegenüber. Wegen der Verteilung von Flugblättern und Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei muss Grube wieder ins Gefängnis, teilweise in Einzelhaft.
Die Form des Comics scheint sich für Biografien zu eignen. Ein Grund dafür ist, dass es darin offensichtlich gelingt, Lücken der Erinnerung plausibel zu füllen, ohne zu behaupten: Ganz genau so war es, sondern vielmehr: So könnte es gewesen sein. Das gilt nicht für die historischen Umstände, die auch für dieses Buch penibel genau recherchiert wurden. Es geht um die Erfahrung der Betroffenen. So wurden in den letzten Jahren insbesondere Graphic Novels über ZeitzeugInnen vorgelegt, die nachhaltigen Eindruck auch in der Geschichtswissenschaft hinterlassen haben, von Art Spiegelmans Maus bis zu Barbara Yelins Farbe der Erinnerung. Hannah Brinkmanns Zeit heilt keine Wunden entstand im Auftrag des NS Dokumentationszentrums München.
Der Titel des Buches verheißt nichts Gutes. Und doch beschreibt der Comic auch einen Prozess, der hilft, dem Unrecht zu widerstehen. Er schildert erschütternde Ereignisse. Ernst Grube erzählt diese Ereignisse immer noch selbst, unermüdlich – und zum Glück vor allem jungen Menschen, an denen es ist, vielleicht doch aus Geschichte zu lernen.
Hannah Brinkmann hat bereits in ihrer ersten Graphic Novel Gegen mein Gewissen – die Geschichte eines Kriegsdienstverweigerers in den 70er Jahren der BRD – ihren Stil gefunden. Ihre Physiognomien sind gewöhnungsbedürftig. Sie wirken mitunter wie eine bewusst gesetzte Verfremdung. Sie halten uns emotional auf Abstand, um umso klarer zu verstehen, von welchen Ungeheuerlichkeiten sie eigentlich erzählt. Zugleich schafft sie es, Sprache auf eine Art Sprache verbildlichen, wie man es im deutschen Comic vielleicht nur von Birgit Weyhe kennt. Sie seziert Begriffe, wie z.B. den des „Halbjuden“, in Schaubildern von irrer Absurdität. Ihr gelingen Metamorphosen, die auf eindringliche Weise zeigen, wie Menschen unter Druck reagieren. Ihr Seitenaufbau ist oft originell, erhellend, außergewöhnlich, aber nie effekthascherisch.
Dieser Comic ist eine wichtige Form des Erinnerns und der Fortsetzung von Zeitzeugenschaft.
Jakob Hoffmann, Frankfurt a. M.