Zur Autorin / Zum Autor:
Antonin Artaud Kurzform von Antoine Marie Joseph Paul Artaud war ein französischer Schauspieler, Dramatiker, Regisseur, Zeichner, Dichter und Theater-Theoretiker.
Im April 217 wird der römische Kaiser Caracalla ermordet. Wie so häufig in der Geschichte des römischen Reiches, war es der Prätorianerpräfekt mit Allüren, der den Mord in Auftrag geben hatte. Macrinus, so hieß der Ehrgeizling, sicherte sich damit zwar den Thron, hatte sich aber kräftig verrechnet: Der hemdsärmelige Soldatenkumpel Caracalla war zeitlebens zwar ein Hassobjekt der stadtrömischen Aristokratie, dafür aber ein ausgemachter Liebling der Legionen gewesen. Macrinus hingegen war ein Knauser und obendrein auch noch hinterlistig. Und was hilft ein befriedeter Senat, wenn die Kaiser schon längst in den Heerlagern der Legionen gemacht werden?
(ausführliche Besorechung uten)
Im April 217 wird der römische Kaiser Caracalla ermordet. Wie so häufig in der Geschichte des römischen Reiches, war es der Prätorianerpräfekt mit Allüren, der den Mord in Auftrag geben hatte. Macrinus, so hieß der Ehrgeizling, sicherte sich damit zwar den Thron, hatte sich aber kräftig verrechnet: Der hemdsärmelige Soldatenkumpel Caracalla war zeitlebens zwar ein Hassobjekt der stadtrömischen Aristokratie, dafür aber ein ausgemachter Liebling der Legionen gewesen. Macrinus hingegen war ein Knauser und obendrein auch noch hinterlistig. Und was hilft ein befriedeter Senat, wenn die Kaiser schon längst in den Heerlagern der Legionen gemacht werden?
Das Leben Macrinus war deshalb kurz. Schon bald wurde nämlich aus der weitläufigen Familie Caracallas, die nach Homs zwangsexiliert wurde, ein Thronprätendent ins Rampenlicht geschoben, der mit einem mächtigen genealogischen Argument ausgestattet wurde: Er, gerade mal vierzehn Jahre alt, sei ein unehelicher Sohn Caracallas. Die Legionen waren begeistert, und so ist es kaum verwunderlich, dass Elagabal nach kurzem Bürgerkrieg den kaiserlichen Purpur anlegen durfte –Beginn einer kurzen, aber blutigen Schreckensherrschaft, so jedenfalls das Fazit der römischen Geschichtsschreibung.
Antonin Artaud, Schriftsteller, Schauspieler, Theatertheoretiker und drogenabhängiger Pariser Exot, hat sich der Biographie dieses blutigen Kaisers angenommen. In Heliogabal oder der gekrönte Anarchist beschreibt er das kurze Leben dieses pubertären Herrschers, bezieht, ganz historiographische Konvention, antike Quellen mit ein und ist dabei doch so wortgewaltig wie irre und programmatisch. Denn der junge Kaiser ist für Artaud weniger ein brutaler Lüstling, der als halbwahnsinniger Priester des orientalischen Sonnengottes aus Lust, Laune und hemmungsloser Genusssucht das Römische Reich durcheinander gebracht hat, sondern ist das fleischgewordene anarchische Prinzip, das hochreine Poesie hervorbringt:
„Poesie ist zermalmte, flammende Vielheit. Und die Poesie, die die Ordnung wiederherstellt, erneuert zunächst die Unordnung, die Unordnung mit ihren feurigen Aspekten; sie lässt Aspekte aufeinanderprallen, die sie auf einen einzigen Punkt zurückführt: Feuer, Geste, Blut, Schrei.“
Elagabal beging im Zuge seiner Herrschaft mehrere fatale Fehler. Der größte sollte allerdings sein Versuch sein, die römische Religion mit dem Göttervater Jupiter an der Spitze durch den orientalischen Sonnengott Elagabal zu ersetzen, dessen Priesterwürde Elagabals Familie seit Generationen innehatte. Die Bruchlinie verlief zwischen ihm und den konservativen Römern, die kein Verständnis für den orientalischen Prunk der syrischen Sonnenreligion hatten.
Artaud bringt genau diese Positionen gegeneinander in Stellung und entwirft in Heliogabal eine Idee von Untergang und Erneuerung, von permanenter Revolution, die in ihrer Radikalität beeindruckend ist.
„Trägt man die Poesie und die Ordnung wieder in eine Welt hinein, deren bloßes Dasein eine Herausforderung der Ordnung ist, so trägt man damit auch wieder Krieg, ununterbrochenen Krieg in sie hinein (…) und entfacht (…) eine Anarchie der Dinge und Aspekte, die nochmals wach werden, bevor sie aufs Neue untergehen und sich in der Einheit auflösen.“
Ordnung gegen Chaos, das Prinzip erstarrter und kalter kultureller Verfügungen gegen das lebendige Sprudeln anarchischer Hervorbringungskräfte. Dass Artaud mit der Konzeption dieses seltsamen Romans zweifellos auch auf den von ihm so sehr gehassten Kulturbetrieb zielte, liegt auf der Hand.
Heliogabal ist vieles zugleich: eine aus den historischen Überlieferungen Cassius Dios und Herodians lose verfügte Biographie des Elagabal, ein kunsttheoretisches Konzept und eine wort- und bildgewaltige Provokation, die wie ein irre plappernder, dunkelglänzender Strom dahin sprudelt.
Das alles ist nichts für Nebenbei, sondern eine Überforderung und ein Wahnsinnsritt durch Zeit, Geschichte und Biographie. Aber eben auch ein – am Besten peu a peu – zu genießender Trip über Grenzen und Konventionen hinweg in ein Ideenreich, in dem kein Stein auf dem anderen bleiben soll.
Johannes Fischer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt