Zum Buch:
Jahrelang verbringt eine Gruppe von Kindern die Sommerferien auf einer Insel in Griechenland. Ihre Eltern arbeiten dort als Archäologen auf einem Grabungsfeld, die Kinder sind weitgehend sich selbst überlassen. Diese Wochen in der flirrenden Hitze des Hochsommers, dem gleißenden Licht, dem schimmernden Meer – diese fast unbegrenzte Freiheit ist das absolute Gegenteil zum Rest des Jahres, den sie in der Schweiz, in Holland oder Frankreich verbringen, und erscheint ihnen als die einzig lebenswerte Zeit. Nur der Augenblick zählt, nur hier sind sie lebendig, ist jeder Tag außergewöhnlich, nur auf der Insel sind sie einzigartig. Die Kinder haben sich eine eigene Welt geschaffen, deren Grenzen sie selbst bestimmen, in der sie neue Namen tragen und in der sie mit eigenen Worten spielerisch die Differenzen ihrer Sprachen überbrücken. Sie streunen herum wie eine Horde junger Hunde, haben Hornhaut an den Füßen und salzverkrustete, verschrammte Haut. Sie spielen, kämpfen, verausgaben sich im Wasser und genießen es, müde und verbrannt von Licht und Hitze abends zu den Erwachsenen zurückzukehren.
Die Jahre vergehen, aus den Kindern werden Jugendliche, und je älter sie werden, desto mehr driften sie auseinander. Ihre Körper verändern sich, ihre Gefühle auch. Sie verlieben sich, sondern sich ab, konkurrieren miteinander. Nach und nach verblasst das strahlende Licht, und die Intensität des unmittelbaren Erlebens weicht distanzierteren Blicken – die Nüchternheit der Erwachsenenwelt zieht ein. Aber nicht nur sie, auch die Insel verändert sich. Das wissenschaftliche Interesse der Archäologen wird von der touristischen Nutzung der Ausgrabungsstätten überlagert, die monetäre Verwertung überlagert die Entdeckerfreude, neue Häuser für Feriengäste überwuchern Strände und Olivenhaine – und irgendwann ist all der Zauber nur noch Erinnerung.
Dieser Text leuchtet. Nach den ersten Sätzen ist man mittendrin im Süden, in der Hitze, dem Licht und der unbändigen Lebensfreude der Kinder. Christine Avels Sprache ist sinnlich, bilderreich und zum Glück weder nostalgisch verklärend noch sentimental. Sie registriert die feinen Risse in der überschäumenden Unbefangenheit der Kinder, in die irgendwann Melancholie und Distanziertheit einsickern. Nur hier sind wir einzigartig ist ein wunderbares Buch, das für die Zeit der Lektüre den kommenden Winter, die Corona-Lage und die alltäglichen Zwänge vergessen machen kann.
Ruth Roebke, Frankfurt a.M.