Zum Buch:
Tara Selters Problem ist, dass sich ihr 18. November wiederholt. Seit 121 Tagen steckt sie fest; seit 121 Tagen ist ihre „Zeit aus den Fugen“ geraten. Deshalb beschließt sie, Tagebuch zu führen.
Bevor „die Zeit aus den Fugen“ geraten ist, war Tara für einige Tage geschäftlich unterwegs. Auf dem Rückweg hielt die Antiquarin in Paris an, wo sie Bücher erwarb und einen Freund besuchte. Als sie aber am Morgen des 19. November gerade in einem Hotel frühstückt, bemerkt sie, dass ihr die ganze Situation äußerst vertraut vorkommt: die Bewegungen der Anderen, die verschiedenen Abläufe – kurz, sie erkennt die ganze Situation wieder. In der Zeitung liest sie kurz darauf, dass es nicht etwa der 19., sondern wieder der 18. November ist. Sie bemerkt zudem: für alle anderen Menschen ist es der erste 18. November, also schlicht der erste auf den 17. November folgende Tag.
Das mag natürlich sehr an den Plot von „Und täglich grüßt das Murmeltier“ erinnern, aber diese Assoziation verfliegt bald wieder. Denn bis auf das Hauptmotiv der wiederkehrenden Zeit und den Aspekt, dass sich der Tag einzig für Tara wiederholt, gibt es zwischen Film und Solvej Balles Roman keine Gemeinsamkeiten. Balles Roman verzichtet auf Komik.
Tara entscheidet sich, Paris zu verlassen und in den fiktiven Ort Clairon-sous-Bois zurückzukehren, zurück in das Haus, das sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Thomas bewohnt. Anfänglich erklärt sie ihm täglich, weshalb sie in der Wohnung und nicht in Paris ist, um danach mit Thomas‘ Hilfe dem Grund der Irregularität nachzugehen. Sie verbringen viel Zeit miteinander, fallen „in einen Rhythmus“ und beleben die zuvor erkaltete Beziehung. „Es dauerte ein paar Wochen. Oder einige Tage, die ein paar Wochen entsprachen“, bis Tara einsehen musste, dass sie sich zeitlich immer weiter von Thomas und dessen Welt entfernt. In der Folge fängt sie an, neben ihrem Ehemann im Haus zu leben. Thomas, der ja mit jedem Morgen die Erinnerung an Taras Anwesenheit verliert, wird so für Tara allmählich zum bloßen „Gespenst“, zum „Geräusch“. An einem anderen, späteren 18. November wird sie notieren: „Das ist der Grund, warum ich angefangen habe zu schreiben. Weil ich ihn im Haus hören kann. Weil die Zeit aus den Fugen geraten ist.“
Für Tara ist alles vorhersehbar. Sie weiß immer, wann der Regen zu fallen beginnt und wann er wieder aufhört. In ihrem Leben gibt es keine Kontingenz mehr. Balle gelingt es, die sich daraus ergebende Erwartbarkeit zusammen mit der innerlichen Veränderung Taras auf formaler Ebene darzustellen, vor allem durch die Sätze, die sich augenscheinlich wiederholen, um dann aber doch different zu sein – also wiederkehrende Phrasen in umgestalteten Kontexten.
Mithin verfällt man während des Lesens in einen Modus, in dem alles deutbar scheint. Balle macht aus uns Lesenden sensible Lesende. Wir werden in der Lektüre (über-) empfänglich für alle Feinheiten und finden uns ständig auf der Suche nach Zusammenhängen, Ursachen und möglichen Auswegen aus Taras Anomalie.
Nüchtern und reduziert erzählt, reflektiert Balle in ihrem Roman mehrfach über die Heilsamkeit der Sprache. Und vielleicht ist Über die Berechnung des Rauminhalts I auch weniger ein Buch, das von Wiederholung oder Rhythmus spricht als vielmehr von Distanz, Nähe und Verlust – aber das bleibt offen.
Felix Spangenberg, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt