Zum Buch:
Die wenigsten von uns haben vermutlich schon mal eine Strafvollzugsanstalt, ein Gefängnis, von innen gesehen, geschweige denn eine Jugendstrafanstalt. Die Vorstellungen sind eher vage und ziemlich düster, entlehnt aus dem einen oder anderen Film.
Sieben Monate wird Adriana an diesem unwirtlichen Ort namens Compass überleben müssen. Sieben Monate in genormter Anstaltskleidung, ohne Privatsphäre, dafür mit klarer Hackordnung zwischen den Jugendlichen, sieben Monate, in denen man möglichst keine Gefühle zeigt, schon gar nicht gegenüber dem unsympathischen, selbstzufriedenen Anstaltspsychologen Alvarado. Immerhin erhält sie die Erlaubnis, ihr Tagebuch zu behalten, gleichermaßen Zufluchtsort und Rettungsanker in einer kalten Welt.
Mädchen und Jungs leben den Gefängnisalltag zwar im selben Gebäude, jedoch strikt voneinander getrennt. Die Kantine wird zu unterschiedlichen Zeiten genutzt, auf den Gängen gibt es keine Begegnungen. Unter den Mädchen sind die Bedrohungen oft subtil und unterschwellig, Macht wird über Ausgrenzung oder Manipulation ausgeübt. Bei den Jungen hingegen geht es häufiger ums nackte Überleben, Gewalt ist an der Tagesordnung.
Wenn schon Adriana den Zeitraum von sieben Monaten kaum überschauen kann und sie die beklommenen Besuche ihres schweigenden Vaters und ihrer Stiefmutter unerträglich findet, wie soll es Jon da gehen, der inhaftiert wurde, als er vierzehn war; seine Mutter ist an Krebs gestorben und so blieb er zurück, ohne weitere Angehörige, die ihn hätten besuchen können. Zudem rückt sein achtzehnter Geburtstag näher, der nach einer eher fraglichen Revision seines Falls im schlechtesten Fall bedeuten würde, in ein Männer-Gefängnis überstellt zu werden, ohne jegliche Aussicht auf Rehabilitation.
Zwei Jugendliche in einer beklemmenden Welt, die über den Zufall eines verlorenen Tagebuchs miteinander in Kontakt und einander mit jeder Zeile, die sie abwechselnd in Adrianas Tagebuch schreiben, näherkommen. Fast zu schön, um wahr zu sein, und doch glaubwürdig und enorm spannend erzählt, schildern die AutorInnen eine zarte Liebesgeschichte zwischen zwei jungen Menschen im Ausnahmezustand. Mühsam errichtete innere Mauern beginnen durch die Briefe, die Adriana und Jon einander schreiben, zu wackeln. Das Gefühl, dass es jemanden geben könnte, der nicht urteilt, sondern erkennt und versteht, ist für beide überwältigend. Durch eine von vielen Helfenden auf beiden Seiten minutiös über Wochen geplante Aktion wollen die beiden das Unmögliche möglich machen und einander in den vergessenen Kellergewölben von Compass treffen. Die Frage, ob das tatsächlich gelingen wird, wer auf wessen Seite steht und ob es nicht vielleicht einen Verräter in nächster Nähe gibt, macht das Buch zu einem echten Pageturner.
Die raue Wirklichkeit der inhaftierten Jugendlichen einfühlsam und trotzdem realitätsnah abzubilden, war dem bekannten Autor Neal Shusterman und seinen Co-Autorinnen Debra Young, Michelle Knowlden eine Herzensangelegenheit, wie man im Nachwort lesen kann. Mit ihrem Buch wollen sie Licht in die häufig vergessene Welt des Jugendstrafvollzugs bringen. Und auch wenn es sich bei Compass um ein amerikanisches Gefängnis handelt und man diesem Buch ein etwas genaueres Lektorat gewünscht hätte, so ist Break to You doch ein toller Roman, der das Zeug hat, den Horizont von Menschen ab 14 auf ungemein spannende Weise zu erweitern.
Larissa Siebicke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt