Zum Buch:
Lieblingsreiseziele der vergangenen Jahrzehnte – Mallorca, die Seychellen, Shanghai – sind Schnee von gestern! Reisen von heute geht nicht mehr nur auf der Horizontalen, endlich ist auch die Vertikale im Angebot der Veranstalter – Reisen in vergangene Zeiten! Reiseanbieter machen möglich, was immer der zahlende Kunde wünscht: live dabei zu sein, wenn wichtige wissenschaftliche Enddeckungen gemacht werden, zuzusehen, wenn der Atlantik die Sperre von Gibraltar überwindet und das Mittelmeer entsteht, zuzuhören, wenn Bach eigene Kantaten spielt, oder mit den Kindern endliche lebendige Dinos zu beobachten. Ob Millionen Jahre zurück in der Erdgeschichte oder 1989 zum Tanz auf der Berliner Mauer – für jedes Interesse findet sich etwas. Aber es wäre ein Irrtum zu glauben, man befände sich dabei gefahrlos auf einem sicheren Beobachterposten. Die Reisenden sind mitten im Geschehen, und damit sie auch wieder heil nach Hause kommen, braucht es einen guten Reiseführer. Das Handbuch für Zeitreisende ist der Beste, das es augenblicklich gibt.
Die auf wissenschaftlichen und historischen Feldern bewanderten Autoren Kathrin Passig und Aleks Scholz haben einen – soweit das für dieses Thema überhaupt möglich ist – umfassenden Ratgeber geschrieben. Das Buch ist klar gegliedert und beginnt mit einer kurzen Geschichte der Zeitreise, greift dann mit 113 Ideen für Zeitreisen exemplarisch Ereignisse, Epochen und Gegenden heraus, deren nähere Beschreibungen sich auch auf andere, ähnlich gelagerte Ziele übertragen lassen. Der zweite Teil greift das Thema Weltverbesserung auf, in denen die Autoren sich mit Sinn und Unsinn des bei vielen Reisenden vorhandenen Impulses beschäftigen, der Vergangenheit mit ihrem gegenwärtigen Wissen auf die Sprünge zu helfen. Inhalt des letzten Teils ist etwas, das in keinem guten Reisehandbuch fehlen darf: Praktische Informationen für Zeitreisende.
Dieser letzte Abschnitt bietet wichtige Tipps: Wie stelle ich es an, nicht sofort als Wesen aus der Zukunft erkannt zu werden? Was nehme ich wohin mit und vor allem, was lasse ich besser nicht am Reiseort zurück, um künftige Archäologen nicht zu verwirren? Wie umschiffe ich sprachliche Klippen? Was ist im Krankheitsfall zu tun?. Und auch: Wo fahre ich als zivilisationsgewohnter Mensch vielleicht besser erst gar nicht hin?
Und jetzt kehren wir zurück in die Gegenwart! Das Handbuch für Zeitreisende ist ein unterhaltsames, witziges, aber vor allem intelligentes Buch. Souverän jonglieren die AutorInnen am Anfang so lange mit Einsteins Relativitätstheorie, mit der Quantenmechanik, mit Wurmlöchern und Parallelwelten, bis der laienhafte Leser die Prämissen für Zeitreisen und damit die Voraussetzung für dieses Buch als gegeben nimmt. Sämtlichen Versuche, sie mit normaler Alltagslogik der Unwahrscheinlichkeit zu überführen, kann man getrost fahren lassen und sich mit Vergnügen einem Text hingeben, dessen völlig neuer Blick auf die zahlreichen Vergangenheiten erfrischend anders ist. Und letztlich ist man wahrscheinlich unter den ganz praktischen Gesichtspunkten, was einem in der Vergangenheit im Krankheitsfall, bei Rechtsstreitigkeiten oder einfach nur bei Hofe passieren kann, zutiefst dankbar, in einer Gegenwart mit Penizillin, bürgerlichem Gesetzbuch und dem Umstand zu leben, dass man zwar gesellschaftliche Etikette verletzen kann, dafür aber nicht gleich zum Duell gefordert wird.
Ruth Roebke, Bochum