Zum Buch:
„Man sollte sich immer ein bisschen mehr Hoffnung als Sorgen machen“, heißt es im neuen Roman von Robert Seethaler; ein Motto, das er seinem Hauptprotagonisten quasi auf den Leib geschrieben hat. Wir befinden uns in der Wiener Leopoldstadt in der Mitte der siebziger Jahre. Zwischen den letzten hässlichen Trümmerfeldern und Brachen künden zusehends mehr Baustellen von einer Aufbruchsstimmung, die auch Robert Simon erfasst hat. Der ehemalige Gelegenheitsarbeiter, der sieben harte Jahre auf dem Karmelitermarkt für ein Handgeld Obst und Gemüse gesäubert hat und zur Untermiete bei einer Kriegerwitwe wohnt, erfüllt sich einen langgehegten Traum: sein eigenes Café. Für welches ihm jedoch partout kein passender Name einfallen will.
Das Viertel um den Markt ist eines der ärmeren, hier wohnen Fabrikarbeiter, Näherinnen, Tagelöhner, Verlorene. Dementsprechend setzt sich bald das Stammpublikum des Cafés zusammen, das, außer für Robert, eigentlich eine Eckkneipe ist. Da ist zum Beispiel René, der Heumarktringer, der zudem ein Parteibuch besitzt und an eine rote Zukunft glaubt. Oder Frau Gebhartl, die Herrenanschluss sucht und doch meist für sich allein bei einem Glas Zwetschgengeist sitzt. Da sind der Fischhändler Wessely und Herr Blaha, ein pensionierter Gaswerkkassierer, der, wenn er heiterer Stimmung ist, gern einmal sein Glasauge über den Tisch rollen lässt. Und da sind auch die beiden älteren, trinkfesten Witwen, deren Gespräche sich in einem fort um die Vor- und Nachkriegszeit in Wien drehen und die im Roman gewissermaßen die Aufgabe von Chronistinnen übernehmen.
Robert Simon, der Wirt, der trotz seiner Wortkargheit an das Heilende des Miteinanders glaubt, hat stets ein offenes Auge und Ohr für die Besonderheiten, Launen und Probleme seiner Gäste – und dennoch brennt eine Sehnsucht in seinem Herzen, die unerfüllt bleibt.
Wie in jedem seiner Romane bleibt sich Robert Seethaler auch in Das Café ohne Namen dahingehend treu, dass er sich auf geradezu behutsame Weise viel Zeit für sein Personal wie auch für die absolut nötigen Nebensächlichkeiten nimmt. Darin liegt eine große Kunst wie auch Liebe zum Detail. Und nicht zuletzt eine enorme Kurzweil: Ich habe das Buch an einem einzigen langen Sonntag gelesen – und musste noch Tage später an die Gäste im Café denken.
Axel Vits, Köln