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Gästebuch

Autor
Shapton, Leanne

Gästebuch

Untertitel
Gespenstergeschichten. Aus dem Amerikanischen von Sophie Zeitz
Beschreibung

Jetzt, wenn der Nebel über den Wiesen schwebt und das Zwielicht gar nicht mehr weicht, ist die beste Zeit für Gespenstergeschichten – und Leanne Shapton lehrt uns schaudern. Während uns die Hochglanzbilder der Werbebranche unentwegt von der Zukunft träumen lassen, reißt uns Shapton zurück, drückt uns auf den Stuhl und tiefer ins Bett hinein, legt Fürsprache ein für all jene, die in den alten Häusern lebten und starben, in raschelnden Kleidern die Flure entlang gingen und sich nachts in den Betten wälzten. Oder haben wir uns das alles nur eingebildet?
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Suhrkamp Verlag, 2020
Seiten
320
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-518-42956-3
Preis
24,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Leanne Shapton ist Künstlerin, Illustratorin und Autorin. Sie wurde in Toronto geboren und lebt in New York. Neben zahlreichen Büchern veröffentlichte sie Artikel in The New York Times, Harper’s und The New Yorker. Sie unterrichtet an der Columbia University und ist eine der Gründer*innen des auf Fotografie spezialisierten Non-Profit-Verlags J&L Books. Zusammen mit Sheila Heti und Heidi Julavits gab sie das Buch Frauen und Kleider heraus.

Zum Buch:

Jetzt, wenn der Nebel über den Wiesen schwebt und das Zwielicht gar nicht mehr weicht, ist die beste Zeit für Gespenstergeschichten – und Leanne Shapton lehrt uns schaudern. Während uns die Hochglanzbilder der Werbebranche unentwegt von der Zukunft träumen lassen, reißt uns Shapton zurück, drückt uns auf den Stuhl und tiefer ins Bett hinein, legt Fürsprache ein für all jene, die in den alten Häusern lebten und starben, in raschelnden Kleidern die Flure entlang gingen und sich nachts in den Betten wälzten. Oder haben wir uns das alles nur eingebildet? In ihrem Gästebuch versammelt Shapton alte Photos, schwarzweiß, und Grundrisse. Verschwommene Bilder von Häusern mit langen, elend langen Korridoren und von Menschen, unschuldig, glücklich in die Kamera lachend. Photos von Kleidern auf Puppen, aus Seide und Spitze, und Betten, fein säuberlich gemacht und mit großen, erdrückenden Betthäuptern. Und all diesen Dingen, all dieser versammelten natura morta haucht sie Leben ein.

Shapton, bildende Künstlerin und Autorin, spielt souverän mit den verschiedenen Medien: Kürzesttexte à la Instagram, Bildunterschriften, Text-Bild-Geschichten, Schnappschüsse, Kinderzeichnungen und Aquarelle. Ihre Montage evoziert die Schauergeschichten wie ihre Aquarelle, die mehr andeuten als mimetisch kopieren. In den Köpfen der LeserInnen werden die hingetuschten Schemen zu Geistern, die sich nachts auf unser Bettende setzten. Jeder Versuch, das Gesehene zu bannen, weist auf sich selbst zurück, so wie die Recherchen im Netz nach dem talentierten Tennisspieler Billy Byron mit seiner gespenstischen Fähigkeit, die Flugbahn der Bälle vorherzusehen, doch nur wieder auf das Buch selbst verweist: Fiktion!

An Heiligabend ist es schließlich soweit, dass man mitten in die Geschichte fällt, als wäre man während der Familienfeier eilig in den Keller gehuscht, um noch schnell ein Geschenk einzupacken. Die schwergängige Schublade wird Stück für Stück aufgezogen, auf ihrem Boden diese alten Weihnachtspapiere, vergilbt, ein paar alte Weihnachtsservietten mit Engelchen und Zweigen, diese Farben, dieser Geruch … ein Traum, ein Alptraum, ein Fest.

Die Kanadierin Leanne Shapton ist mit ihrem gemeinsam mit Sheila Heti veröffentlichten Band Frauen und Kleider berühmt geworden. 2012 erschien ihr autobiographischer Roman Bahnen ziehen, 2017 Manhattan zusammen mit Niklas Maak. Shapton bewegt sich zwischen den Welten: Ihre Bücher leben von Text und Bild gleichermaßen, und mit beiden Medien erzählt sie Geschichten, die unabhängig voneinander existieren und – im eben erschienen Gästebuch – auch gegeneinander arbeiten, eine jeweils andere Wirklichkeit behaupten. Man muss schon sehr genau hinschauen, um zu begreifen, dass uns der Text nicht (immer) die Geschichten der Bilder erzählt, sondern ganz andere Geschichten präsentiert, die dem scheinbar eindeutigen Bild gleich mehrere unheimliche Ebenen einschreiben. Man muss schon sehr genau hinschauen, um den Untertitel des Buches zu entdecken, weiß auf weiß: Gespenstergeschichten.

Ines Lauffer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt