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Eine Grüne demokratische Revolution

Autor
Mouffe, Chantal

Eine Grüne demokratische Revolution

Untertitel
Linkspopulismus und die Macht der Affekte. Übersetzt von Ulrike Bischoff.
Beschreibung

Wie sähe ein politisches Projekt aus, das die Menschen im Alltag wirklich erreicht und dennoch gleichzeitig über den Horizont dieses Alltags hinausweist? Das neue Buch von Chantal Mouffe, der Post-Marxistin und wichtigsten Vertreterin des sogenannten Linkspopulismus, fragt, warum sich kaum breite Schichten mit kritischen politischen Parteien identifizieren, obwohl die doch oftmals objektiv ganz gute Programme und vor allem vernünftige, wissenschaftlich untermauerte Positionen vorweisen können. Warum bleibt progressive Politik in vielen Ländern oft ein Projekt von Eliten für Eliten, während die inhaltlich absurde, aber emotional offenbar umso ansprechendere Holzhammer-Politik der neuen Rechten große Erfolge einfährt?

Es lohnt sich, diese epistemologischen Probleme des Populismus mit und gegen Mouffe zu durchdenken. Vor diesem Hintergrund wird es dann auch möglich, sich den Weg zu einer grünen Revolution vorzustellen: nämlich als „ein Projekt, das die ökologische Frage in ihren vielfältigen Dimensionen anzugehen versucht und sich nicht auf den Kampf gegen den Kapitalismus beschränken kann“. (ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Suhrkamp, 2023
Seiten
99
Format
Broschur
ISBN/EAN
978-3-518-12799-5
Preis
16,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Chantal Mouffe ist emeritierte Professorin für Politische Theorie an der University of Westminster. Sie lehrte und forschte an diversen Universitäten Europas, Nord- und Südamerikas und ist korrespondierendes Mitglied des Collège International de Philosophie in Paris. Ihr gemeinsam mit dem argentinischen Politikwissenschaftler Ernesto Laclau verfasstes Buch Hegemonie und radikale Demokratie gilt als ein Grundlagentext des Postmarxismus. Mouffe und Laclau entwickeln darin ein Modell der »agonistischen Politik«, das Mouffe in Über das Politische weiter ausarbeitete.

Zum Buch:

Wie sähe ein politisches Projekt aus, das die Menschen im Alltag wirklich erreicht und dennoch gleichzeitig über den Horizont dieses Alltags hinausweist? Das neue Buch von Chantal Mouffe, der Post-Marxistin und wichtigsten Vertreterin des sogenannten Linkspopulismus, fragt, warum sich kaum breite Schichten mit kritischen politischen Parteien identifizieren, obwohl die doch oftmals objektiv ganz gute Programme und vor allem vernünftige, wissenschaftlich untermauerte Positionen vorweisen können. Warum bleibt progressive Politik in vielen Ländern oft ein Projekt von Eliten für Eliten, während die inhaltlich absurde, aber emotional offenbar umso ansprechendere Holzhammer-Politik der neuen Rechten große Erfolge einfährt?

Chantal Mouffes gesamtes philosophisches Werk beschäftigt sich in der einen oder anderen Weise mit diesem Widerspruch. Ihre These lautet: Vor lauter Bemühungen, die eigene Politik möglichst wissenschaftlich abgesichert erscheinen zu lassen, vergisst die Linke, den Menschen eine affektive, sprich emotionale Identifikation mit ihrem Projekt zu ermöglichen. Der neue Rechtspopulismus dagegen gibt ihnen das, wonach sie in Zeiten der Krise am meisten dürsten: die Hoffnung auf Sicherheit und Stabilität sowie das Versprechen, gehört zu werden. Mouffe ist sich sicher: „Wenn sie sich durchsetzen will, muss eine Partei Affekte ansprechen“.

Mouffes Hauptthese lautet, dass der Linken historisch eine Verwechslung von zwei eigentlich getrennten Aspekten der Aufklärung passiert ist, die viel mit dem modernen Ideal des vernünftigen Subjekts zu tun haben: „Der Glaube an die Existenz einer zwangsläufigen Verknüpfung der beiden Dimensionen der Aufklärung – der politischen und der epistemologischen – erklärt, warum die Linke an einer verkürzten Sicht von Rationalität festhielt, die Affekte ausschließt.“

„Menschen müssen das Gefühl haben, dass sie eine Stimme haben und ermächtigt werden, wenn sie sich politisch engagieren“, macht Mouffe deshalb gegen die akademistische Linke geltend. Gleichzeitig gilt es umgekehrt zu untersuchen, woher der vielleicht ja auch etwas vermessene Anspruch kommt, immer und überall von der Politik „abgeholt“ zu werden, wenn es vielleicht gerade gilt, sich selbst zu bilden und einzubringen. Gerade mit Blick auf neue soziale Bewegungen, also dort, wo sich wirklich Widerstand regt, z.B. bei der Abolitionismus-Bewegung, bei Fragen der Migration oder der Klimabewegungen, darf sich die Linke nicht einfach auf die zwanglose Kraft des rationaleren Arguments verlassen. Für Betroffene sind dies emotional aufgeladene Themen, die rein wissenschaftlich nicht sinnvoll artikuliert werden können. Gleichzeitig rufen sie nicht weniger irrationale und emotionale Abwehrreaktionen hervor, die schwerlich einfach unterdrückt werden können. Mouffe setzt deshalb auf Praxis: „Es braucht keine Theorie der Wahrheit … oder universelle Gültigkeit“, heißt es bei ihr.

Mouffe – und das ist in diesem Band das tendenziell neue – untermauert ihre Perspektive auf die Möglichkeit von Identifikation mit Argumenten aus der Psychoanalyse: „Die Geschichte eines Subjekts ist die Geschichte seiner Identifikationen; jenseits davon gibt es keine verborgene Identität“. Dieses anti-essentialistische Politikmodell verträgt sich jedoch nicht so recht mit der Forderung, „die privilegierte Stellung eines bestimmten Begriffs von Freiheit, verstanden als die Emanzipation von allen Formen natürlicher und sozialer Einschränkungen, [zu] hinterfragen“. Denn wie sollte diese Hinterfragung anders aussehen als genau in Form einer Theorie, die die Genese dieses falschen zu einem richtigen Freiheitsbegriffs auf Nachfrage explizit und rational begründen kann? Es lohnt sich, diese epistemologischen Probleme des Populismus mit und gegen Mouffe zu durchdenken. Vor diesem Hintergrund wird es dann auch möglich, sich den Weg zu einer grünen Revolution vorzustellen: nämlich als „ein Projekt, das die ökologische Frage in ihren vielfältigen Dimensionen anzugehen versucht [und] sich nicht auf den Kampf gegen den Kapitalismus beschränken [kann]“.

Florian Geisler, Karl Marx Buchhandlung, Frankfurt