Zum Buch:
Lapvona ist mit Abstand Moshfeghs bisher düsterster Roman. In der verschlammten Vorhölle des mittelalterlich anmutenden Fantasiedorfes Lapvona ist man weit entfernt vom augenzwinkernden New-York-Lifestyle aus Mein Jahr der Ruhe und Entspannung. In Lapvona wird gelitten – unter Hitze und Dürre, unter Kälte und Hunger, vor allem aber unter der selbstverschuldeten Unmündigkeit der Dorfgesellschaft. Alle hintergehen alle auf Schritt und Tritt, lügen und intrigieren sogar noch angesichts des nahenden Hungertods und, vor allem, hauen sich gegenseitig tot, dass es nur so spritzt.
Hauptfigur ist Jude, der sich selbst geißelnde Hirte auf der Weide unterhalb des Schlosses. Seine Schafe liebt er mehr als seinen schwierigen Sohn Marek, der von der „Kunst“ der Dorfheilerin schwer gezeichnet ist. Oben auf dem Hügel residiert der bulimische Despot Villiam, der seine Langeweile im Wein ertränkt und die ohnehin spärlichen Lebensmittel des armen Dorfes an sein marodes Bündnis mit regionalen Milizen verschleudert. Die wiederum halten sich jedes Mal vornehm zurück, wenn Räuberbanden mordend durchs Dorf ziehen; schließlich ist jede Krise auch eine Gelegenheit, die ohnehin geschwächte Bevölkerung nach und nach durch die blonden Siedler aus dem Norden zu ersetzen. Hoffnung liegt deshalb auf dem jungen Thronfolger Jacob, einem Naturburschen, der gegen die verkommene Schlossgesellschaft und die perversen Ausschweifungen Villiams leise rebelliert. Als Jacob plötzlich verschwindet, muss der blasse Marek als neuer Sohn des Hauses herhalten.
Jude und der Rest des Dorfes bleiben ihrem Verfall überlassen, während Marek sich immer besser in seine Rolle als Hofnarr einlebt, ja sich endlich verstanden fühlt. Nicht alle Schlossbewohner sind jedoch mit der neuen Erbfolge einverstanden. Die Fürstin macht sich auf die Suche nach neuen Verbündeten, um ihren Gatten endlich zu stürzen. Die Milizionäre wiederum fragen sich, wie lange sie dem Treiben noch zusehen wollen, anstatt einfach selbst das Ruder zu übernehmen. Und Villiams ideologischer Einflüsterer, Vater Barnabas, hat selbst noch eine Rechnung mit der Kirche offen.
Moshfegh zeichnet ein unheiliges Bild der Menschheit, das sich jedem Versuch verweigert, sich auf eine Moral oder Allegorie reduzieren zu lassen. Eine willkommene Abwechslung – ein grausiges, aber auch phantastisches Kammerspiel.
Florian Geisler, Karl-Marx-Buchhandlung, Frankfurt a.M.