Zum Buch:
Dieser Roman ist wie eine der alten Wunderkammern. Er versammelt unterschiedlichste Textsorten, die Handlung spielt zu verschiedenen Zeiten und die handelnden Figuren sind höchst vielfältig. Hier ein paar kurze Bespiele:
Ein junges Paar ist auf der Flucht aus einer der frühen puritanischen Siedlungen in Nordamerika. Ein Soldat, der im Unabhängigkeitskrieg auf der Seite des britischen Königs gekämpft hat, will nach der Heimkehr nur noch eines – Äpfel züchten. Zwei befreundete Künstler – Maler und Schriftsteller – entdecken im 19. Jahrhundert bei einem gemeinsamen Besuch ihrer Familien, dass sie mehr zueinander zieht als geistige Interessen. Ein schizophrener junger Mann versucht in seinem Wahn, durch lange Wanderungen die Welt zu „reparieren,“ indem er sie mit seinen Schritten „zusammennäht“. Sein Psychiater dagegen würde gerne das neue „heilende“ Verfahren der Lobotomie an ihm erproben. Es gibt Pilze, deren Sporen die Wälder schädigen, sowie einen pheromongesteuerten Käfer auf der Suche nach einer Gefährtin. Ihre Nachkommen werden die Ulmenkrankheit weltweit verbreiten. Es gibt einen mysteriösen Berglöwen, den niemand je lebend gesehen hat und vor dem doch alle Angst haben. Und es gibt die Geister.
Die Zeitspanne, die der Roman umfasst, reicht von den frühen puritanischen Kolonien im 17. Jahrhundert in Nordamerika bis in die nahe Zukunft. Der Text versammelt Erzählungen, persönliche Berichte, einen Briefwechsel, Fallnotizen, den sensationslüsternen Text eines True Crime Schriftstellers; dazwischen eingestreut sind Balladen, Zeichnungen, Kalenderblätter, Fußnoten. Im Unterschied zu der oben erwähnten Wunderkammer gibt es aber eine geheime Ordnung in diesem Patchwork, denn alles, was geschieht, ist durch einen Ort verknüpft: ein Haus in einem abgelegenen Tal in den Wäldern von Massachusetts. Ein Ort, an dem alle Fäden zusammenlaufen und an den jeder, der dort war, gebunden bleibt, manche auch über den Tod hinaus.
Dieses Buch, in dem Vergangenheit und Gegenwart, Realismus und Mystizismus, Erzählungen von Mensch und Natur und deren Geschichte selbstverständlich ineinander übergehen, sprengt die Grenzen des Genres, aber was zu Beginn vielleicht unzusammenhängend und zusammengewürfelt wirken mag, entpuppt sich als ein großes Panorama des Wandels von Mensch und Natur und ihrer gegenseitigen Abhängigkeit.
Oben in den Wäldern ist eine gleichermaßen leichthändige wie tiefsinnige Lektüre. Das Buch ist witzig und tragisch, berührend und grausam – kurzum, ist wahrhaft große Erzählkunst, die höchst vergnüglich zu lesen ist.
Ruth Roebke, Frankfurt a.M.