Zur Autorin / Zum Autor:
Uwe Neumahr ist promovierter Romanist und Germanist. Er arbeitet als Literaturagent und freier Autor. Bei C.H.Beck ist von ihm erschienen: Miguel de Cervantes. Ein wildes Leben. Biografie (2015).
Sie waren alle zugegen: Peter de Mendelssohn, John Dos Passos, Martha Gellhorn, Erika Mann, um nur einige der Berühmtheiten zu nennen. Und sie alle waren darum bemüht Antworten zu finden und das Unsagbare für ihre Leserschaft in Worte zu fassen. Die bewegenden Geschehnisse im Presselager während der Nürnberger Prozesse gegen die Hauptverantwortlichen des Angriffskrieges der Jahre 1939 bis 1945 lesen sich daher wie das bisher vernachlässigte Kapitel zeithistorischer Dokumentation.
(ausführliche Besprechung unten)
Als am 20. November 1945 der US-amerikanische Hauptankläger Robert H. Jackson im Justizpalast zu Nürnberg seine Eröffnungsrede zum ersten von insgesamt dreizehn Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher des Naziregimes hielt, hatten sich zweihundertfünfzig Journalisten und Schriftsteller aus aller Welt in der mittelfränkischen Stadt eingefunden, um über dieses bisher einmalige Ereignis zu berichten. Untergebracht wurden die meisten von ihnen im von den Amerikanern beschlagnahmten und weitgehend unzerstörten Hauptgebäude des Schlosses der Familie Faber-Castell, dem Press Camp, über dessen Eingang für alle sichtbar ein Schild mit der Aufschrift „Zutritt für Deutsche verboten!“ angebracht war.
Unter den akkredierten Berichterstattern befanden sich so bekannte Persönlichkeiten wie Martha Gellhorn, Ilja Ehrenburg, John Dos Passos, Erika Mann und Peter de Mendelssohn; aber auch solche, die erst viele Jahre später Berühmtheit erlangen sollten wie beispielsweise Walter Cronkite oder Willy Brandt. Erich Kästner, zu jener Zeit schon ein bekannter Autor, wohnte lediglich dem Prozessauftakt bei.
Die Anklage gegen die Hauptverantwortlichen eines Angriffskrieges war in der allgemeinen Rechtsprechung ein absolutes Novum, und da die gesamte Welt mit hoher Erwartungshaltung auf diesen Prozess blickte, sahen sich die untereinander konkurrierenden Reporter enormem Druck ausgesetzt, weshalb sie sich zuweilen auch nicht davor scheuten, die Auflage ihrer Presseerzeugnisse insofern zu erhöhen, dass sie Begebenheiten vor und hinter den Kulissen in übertriebener Form darstellten – oder diese rundweg erfanden, wie der bereits renommierte, für die französische Besatzungsbehörde über das internationale Großereignis berichtende Schriftsteller Alfred Döblin, der, wie sich später herausstellte, nur vorgegeben hatte, bei den Verhandlungen zugegen gewesen zu sein.
Darüberhinaus ließ sich zu jener Zeit bereits ein Ost-West-Konflikt unter den Berichterstattern der einstigen Bündnismächte ablesen, dessen gesamtes Ausmaß hingegen noch nicht abzusehen war.
Grundsätzlich sahen sich die Beobachter jedoch in der Bringschuld, dem Unsagbaren eine Stimme zu verleihen, indem sie nach Antworten suchten. Das führte mitunter dazu, dass sich bereits während der Verhandlungen, in deren Verlauf man erstmals bei einem Prozess auch Filmmaterial als Belastungszeugnis zuließ, ihre Art zu schreiben veränderte, so als hätte sie das Wissen ob dem Nie-zuvor-Gesehenen in ihren Grundfesten berührt.
Vieles ist bereits über die Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesse publiziert worden. Doch wohl zum ersten Mal erfährt der Leser hier etwas über diejenigen, die dem Geschehen nicht nur direkt als Beobachter beiwohnten, sondern die sich zudem einer Unmöglichkeit gegenüber sahen, indem sie über etwas Zeugnis ablegen mussten, das ihre, das überhaupt jegliche Vorstellungskraft überstieg. Anhand von Recherchen in Archiven und bisher unberührten Quellen aus der Korrespondenz sowie dem Nachlass von Zeitzeugen vermittelt Uwe Neumahr in Das Schloss der Schriftsteller einen gänzlich neuen, besonderen und aufschlussreichen Blick auf die damaligen Ereignisse. Doch neben der Fülle an gehaltvollen Fakten ist es im Besonderen die ihm eigene Sprache, die den Leser vom Fleck weg packt und mit auf die Reise nimmt.
Axel Vits, Köln