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Allerorten

Autor
Prudhomme, Sylvain

Allerorten

Untertitel
Roman. Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer
Beschreibung

Sie waren Jugendfreunde, Sacha und der, den der Erzähler nur den Anhalter nennt. Warum die beiden sich damals aus den Augen verloren haben, erfährt man nicht, kann nur mutmaßen. Was wir jedoch erfahren, ist, dass die beiden sich viele Jahre später wieder begegnen, in einer kleinen Stadt in der Provence, in die sich Sacha – mittlerweile erfolgreicher Schriftsteller – zurückzieht, um in Ruhe zu schreiben. Der Anhalter lebt in dieser Stadt, arbeitet als Handwerker, mal Klempner hier, mal Elektriker dort, oder als Gärtner, wenn das gebraucht wird. Und er hat im Gegensatz zu Sacha Familie. Er liebt Agustín und Marie, das ist offensichtlich, und trotzdem hat er seine alte Gewohnheit, die ihm vor Jahren seinen Spitznamen einbrachte, nie abgelegt. Er bricht auf, einfach so, raus aus dem Alltag, ohne Ankündigung, stellt sich an die Straße und hält den Daumen raus.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Unionsverlag, 2020
Seiten
256
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-293-00561-7
Preis
22,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Sylvain Prudhomme, geboren 1979, ist Schriftsteller und Übersetzer. Seine Kindheit verbrachte er in Kamerun, Burundi, Mauritius und im Niger. In Paris studierte er Literaturwissenschaften und arbeitete danach mehrere Jahre in Afrika. Er ist Autor von mehreren Romanen und Mitbegründer der Zeitschrift Geste. Er wurde u. a. mit dem Prix littéraire Georges Brassens, dem Prix littéraire de la Porte Dorée, dem Prix François Billetdoux und dem Prix Révélation de la Société des Gens de Lettres ausgezeichnet. 2019 erhielt er den Prix Femina.

Zum Buch:

Sie waren Jugendfreunde, Sacha und der, den der Erzähler nur den Anhalter nennt. Warum die beiden sich damals aus den Augen verloren haben, erfährt man nicht, kann nur mutmaßen. Was wir jedoch erfahren, ist, dass die beiden sich viele Jahre später wieder begegnen, in einer kleinen Stadt in der Provence, in die sich Sacha – mittlerweile erfolgreicher Schriftsteller – zurückzieht, um in Ruhe zu schreiben. Der Anhalter lebt in dieser Stadt, arbeitet als Handwerker, mal Klempner hier, mal Elektriker dort, oder als Gärtner, wenn das gebraucht wird. Und er hat im Gegensatz zu Sacha Familie: Marie, die als Übersetzerin ihr Geld verdient, und Agustín, der schon neun ist und Fußball liebt. Und der Anhalter? Der liebt Agustín und Marie, das ist offensichtlich, und trotzdem hat er seine alte Gewohnheit, die ihm vor Jahren seinen Spitznamen einbrachte, nie abgelegt. Er bricht auf, einfach so, raus aus dem Alltag, ohne Ankündigung, stellt sich an die Straße und hält den Daumen raus. Er hat nichts, wovor er flüchten müsste. Es zieht ihn einfach auf die Straße, ohne konkretes Ziel. So richtig per Anhalter fährt heute in Zeiten von Mitfahrzentralen fast keiner mehr, aber für ihn scheint diese Art des Aufbrechens und der Begegnung zwischen zwei Menschen einen sogartigen Reiz zu haben. Wie offen muss man sein, um einem Wildfremden an einer Raststätte seine Tür zu öffnen, sich darauf einzulassen eine oder viele Stunden auf engstem Raum miteinander zu verbringen?

Eigentlich sammelt der Anhalter Begegnungen, er sammelt die Geschichten, die die FahrerInnen ihm erzählen, oder die Gespräche, die zwischen ihnen entstehen. Immer beim Abschied bittet er darum, ein Polaroid machen zu dürfen. Als Sacha und er sich dann wieder begegnen, öffnet der Anhalter die Kiste voller Polaroids und versucht, ihn mit seiner Begeisterung anzustecken. Und genau wie damals, ist Sacha hin und her gerissen zwischen Kopfschütteln und Bewunderung, sucht nach einem vergleichbaren Drang in sich selbst und findet nichts.

Immer öfter, immer länger ist der Anhalter unterwegs. Und immer häufiger verbringt Sacha seine Abende bei Marie, bringt Agustín in die Schule, erledigt Sachen, um die eigentlich der Anhalter sich hätte kümmern müssen. Marie, die dem Anhalter seinen Reisedrang über Jahre wie eine kleine Marotte verziehen hatte, ändert unmerklich ihre Haltung, hat immer weniger Verständnis für den Vater ihres Sohnes, der keine Verantwortung zu kennen scheint.

Der Autor Sylvain Prudhomme, der 2019 für den hier empfohlenen Roman den französischen Prix Femina erhielt, ist selbst ein Reisender, der schon seine Kindheit in verschiedenen Ländern Afrikas verbrachte und auch später nicht aufhörte, die Welt zu erkunden. Wer Prudhommes 2017 in deutscher Übersetzung erschienenen Roman Ein Lied für Dulce gelesen hat, erkennt seine atmosphärischen Beschreibungen und die Zerrissenheit seiner Figuren wieder. Wenn der Anhalter den Daheimgebliebenen Postkarten aus den entferntesten Orten Frankreichs schickt, nimmt er uns mit auf seine Fahrt ins Ungewisse und hinterlässt uns am Ende von Allerorten mit einer kleinen Sehnsucht, sich einfach an den Straßenrand zu stellen und das nächste Auto darüber entscheiden zu lassen, wohin die Reise geht.

Larissa Siebicke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt