Zum Buch:
Die Erschießung des SS-Standartenführers Julius Ritter am 8. September 1943 mitten in Paris war ein Fanal. Die tollkühne Aktion ging auf das Konto der Arbeiterpartisanen, in diesem Fall einer Gruppe junger, überwiegend jüdischer Kommunisten, die im besetzten Paris mit der Waffe in der Hand Widerstand leisteten. Mit einfachsten Mitteln, mit selbst gebauten Sprengsätzen, mit erbeuteten Handgranaten und Schusswaffen verübten sie Dutzende von Anschlägen auf die logistischen Strukturen der Besatzer und verbreiteten Angst und Schrecken unter den Wehrmachtsoldaten und den französischen Kollaborateuren. Erst 1944 gelang es der französischen Geheimpolizei, die Gruppe zu zerschlagen: 23 junge Kämpfer wurden im Februar 1944 hingerichtet. Soweit die historisch belegten Fakten.
50 Jahre später schickt Patrick Rotman in seinem Roman Die Seele in der Faust sein alter ego, den Regisseur Patrick Versau, auf Spurensuche. Der möchte einen Spielfilm über eben jene Résistance-Einheit drehen, die so spektakuläre wie erfolgreiche Aktionen durchgeführt hat. Im Mittelpunkt soll, auch um die Geschichte lebendig zu machen, das Schicksal eines einzigen Protagonisten, des jungen Kommunisten Sascha Altberg, stehen. Auf verschiedenen Ebenen, zwischen Drehbuchpassagen und Gesprächen, die der Regisseur mit Überlebenden und Zeitzeugen führt, wird die Handlung vorangetrieben.
Je mehr Details Versau jedoch erfährt, umso verwirrender stellen sich ihm die Abläufe dar und umso mehr Fragen tauchen auf. Auch beginnt er an der Machbarkeit und Sinnhaftigkeit seines Projektes zu zweifeln.
Die Seele in der Faust ist eine überaus spannende und bewegende Annäherung an die Geschichte einer Widerstandsgruppe und schafft es, geschichtliche Fakten und Fiktion kunstvoll zu verweben. Rotman erhellt das Innenleben der Gruppe ebenso wie die Bedingungen des bewaffneten Kampfes. Er dekonstruiert den Mythos Résistance und verschweigt weder die Mitschuld des französischen Polizeiapparats an der Deportation der Juden noch die aktive Rolle des Geheimdienstes bei der Verfolgung von Kommunisten und Widerständlern. Auch die perfide Säuberungslogik des Stalinismus in den Reihen des antifaschistischen Widerstandskampfes wird thematisiert. Ein überaus lesenswertes Buch, das noch bereichert wird durch ein aufschlussreiches Nachwort der Übersetzerin Elfriede Müller, die die historischen Zusammenhänge verständlich erklärt und einordnet.
Ralph Wagner, Ypsilon Buchladen & Café