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Während in Paris, in ganz Frankreich die Armen wie die Fliegen krepieren, vor Hunger oder als Opfer der Cholera, fordern die Besitzer der Manufakturen um einer größeren Gewinnspanne willen die Senkung der Löhne. Dabei steigen die Brotpreise täglich. Fürsten wie Könige versagen sich nichts, aber Frankreichs Finanzen verdorren: Das Land ist Ende des 18. Jahrhunderts so gut wie bankrott. Verzweiflung und Wut wachsen im Volk und bringen die Masse der Überlebenden, meist junge Männer und Frauen, in Bewegung: eine Revolution, unaufhaltsam wie die Sintflut. Vuillard hat sie in drastischen Bildern eingefangen.
Auf den kältesten Winter seit Jahren, in dem der Hunger ganz Frankreich befällt, folgt 1789 einer der heißesten Sommer. Die Hitze weicht auch an den Abenden nicht. In der Nacht zum 14. Juli ist ganz Paris auf den Beinen; in den Straßen werden Barrikaden errichtet; auf der Place de Grève entsteht binnen weniger Stunden ein riesiger Pfandstall aus beschlagnahmten Kutschen. Die Pariser Kirchenglocken läuten Sturm, doch Versailles bleibt stumm.
Ein wahrhaft opulentes Spektrum an Szenen bietet Vuillards Essay zur Französischen Revolution: Wie ein Kerl namens Fournier am frühen Morgen des 14. Juli einen vor der Bastille angeschossenen 12-jährigen Jungen rettet und wie die Gardes françaises, die sich den Aufständischen angeschlossen haben, dem Mutigen Deckung geben, als er den Jungen über seine Schulter wirft und aus dem Kugelhagel trägt. Wie Jean Rossignol, der spätere General, an diesem Tag noch 19 Jahre jung, zum ersten Mal mit der Revolution in Berührung kommt. Oder wie Louis Tournay, nur für wenige Minuten einer der Helden beim Sturm der Bastille, sich zur Brückenklappe hochschwingt und mit einer ihm im rechten Moment gereichten Hacke die Ketten der Zugbrücke zertrümmert. Aus den überlieferten spröden und lückenhaften Berichten über die Geschehnisse vom 14. Juli 1789 trägt der Autor alles, wirklich restlos alles zusammen und lässt vor unseren Augen Szenen entstehen, die so direkt und unmittelbar wirken wie eine Infusion: die Infusion der Französischen Revolution.
Vuillards neues Genre des historischen Essays ist in seinen Bildern detailreich und eindringlich und vernachlässigt trotzdem die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Hintergründe nicht. Das Wissen aus den Geschichtsbüchern wird zum Leben erweckt. Mehr davon, grandios!
Susanne Rikl, München