Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Vann, David

Momentum

Untertitel
Roman. Aus dem Englischen von Cornelius Reiber
Beschreibung

Jim Vann ist manisch depressiv und von Selbstmordgedanken geprägt. Er verlässt die Einsamkeit der Wälder Alaskas, um sich ein letztes Mal seinem früheren Leben zu stellen, seiner Familie, seinen Ängsten. Die aufrüttelnde, von tiefgreifenden Emotionen geprägte Erinnerung eines Sohnes an den eigenen Vater.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Hanser Berlin, 2020
Format
Gebunden
Seiten
304 Seiten
ISBN/EAN
978-3-446-26594-3
Preis
24,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

David Vann wurde 1966 auf Adak Island/Alaska geboren. Seine Romane sind vielfach preisgekrönt und erscheinen in 22 Ländern. David Vann lebt in Neuseeland und ist derzeit Professor an der University of Warwick in England.

Zum Buch:

Auf Anraten seines Therapeuten bewahrte Jim Vann die Patronen bisher stets getrennt von seinem Revolver auf. Doch fällt es ihm zusehends schwerer, sich an diese Vorgabe zu halten. Jim ist neununddreißig Jahre alt, geschieden und Vater zweier kleiner Kinder, die er der Obhut seines jüngeren Bruders Gary in Kalifornien überlassen hat. Er ist manisch depressiv, und am liebsten würde er sich eine Kugel durch den Schädel jagen – und das besser gleich, statt noch länger auf die Erlösung warten zu müssen.

Früher war Jim Zahnarzt. Die Arbeit hat ihm nicht zugesagt, weshalb er sie an den Nagel gehängt und sich in Alaska als Fischer verdingt hat. Das ist lange her, und letzten Endes ist er auch damit gescheitert. Wie überhaupt mit allem, was er angepackt hat. Die Beziehung zu seiner jetzigen Ex-Frau Rhoda. Die Erziehung der Kinder Tracy und David. Dem Versuch, sich umzubringen.

Jim hat Alaska den Rücken gekehrt, da sein Therapeut der Ansicht war, die Einsamkeit täte ihm nicht gut. Auch alle anderen teilten diese Ansicht, weshalb er jetzt zurück in Kalifornien ist, um sich – wie er meint – ein letztes Mal den Dingen zu stellen. Der Verzweiflung. Den eigenen, tiefsitzenden Ängsten. Was ihn antreibt, ist das Momentum, der entscheidende Einfluss, jene dem Ich innewohnende Kraft zur Bewegung, an die Jim sich klammert. Doch tut er dies keinesfalls wie ein ertrinkender an einen Rettungsring, sondern allein, um seiner Auslöschung Vorschub zu leisten.

Das Wiedersehen mit der Familie gelingt nicht so wie gewünscht. Gary gibt sich zunächst hoffnungsvoll versöhnlich, gerät angesichts der kruden Sichtweisen seines Bruders jedoch zusehends in eine Abwehrhaltung, und seiner Tochter Tracy und besonders seinem Sohn David bereitet Jim zuletzt nur noch Angst.
„Wir müssen dem Momentum folgen, selbst wenn wir wissen, dass das, was kommt, nicht gut ist. Man kann es nicht bekämpfen.“

Es ist nicht das erste Mal, dass der in Alaska geborene Schriftsteller David Vann die – gelinde ausgedrückt – komplizierte Beziehung zu seinem Vater literarisch zu verarbeiten sucht. Doch dieses Mal nutzt er hierfür keine Finten und Umwege, sondern verleiht dem Vater gleich eine eigene Stimme. Und indem er so vorgeht, das Leben seines Vaters sowie die Ereignisse ihrer letzten Begegnung schildert, versagt er sich jegliche Zurückhaltung. Vielmehr geht er gnadenlos mit ihm und mit sich selbst ins Gericht. Doch weiß er auch so etwas wie einen zarten Hauch des Verständnisses aufzubringen, indem er der Krankheit und der tiefen Verzweiflung seines Vaters Raum gibt und sie auf einfühlsame Weise zu akzeptieren bereit ist. Ein überaus emotionales, regelrecht aufwühlendes Buch, das zunächst etwas sperrig daherkommen mag und dessen ganze Seelentiefe und Tragweite sich dann auch erst mit dem allerletzten Satz darstellen. Dennoch ein Buch, das man so rasch nicht wieder vergessen wird – wie überhaupt alle Romane aus David Vanns Feder.

Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln