Zum Buch:
Auf einer Wiese am Waldrand liegt es: das Seil, oder besser gesagt, ein Seilende. Fest geflochten ist es und daumendick, von solider Qualität. Das Seil schlängelt sich durchs Gras, hinein in den Tannenwald. An einem Spätsommerabend entdeckt es ein Bauer aus dem nahen Dorf. Die Existenz des Seiles wird das Leben im Dorf grundlegend verändern. Stefan aus dem Siepen hat diese Parabel in der Vergangenheit situiert. Sie regt zum Nachdenken über unsere Gegenwart und Zukunft an, in gesellschaftlicher, politischer, globaler Hinsicht.
Zurück zur erzählten Geschichte: Am nächsten Morgen steht eine Gruppe von Bauern um das Seil herum. Gemeinsam werden fast alle Männer des Dorfes aufbrechen, um nach dem anderen Ende des Seils zu suchen. Der Beschluss zu dieser Unternehmung wird am Abend unter der Linde bei vielleicht etwas zu viel Bier gefasst. Denn die Ernte müsste eingebracht werden, das Ende des Sommers steht bevor.
Auf dem Marsch durch den Wald bestehen die Männer viele Abenteuer. Die im Dorf zurückgelassenen Frauen müssen sich neuen Aufgaben stellen. Doch das eigentlich Spannende an diesem Text sind die Assoziationen, die das Erzählen dieser Begebenheiten in dem Leser wachruft. Krieg, Europäische Gemeinschaft, Kapitalismus, Währungspolitik, Globalisierung, viele Synonyme sind mir für das Bild des Seiles eingefallen. Wir alle laufen dem daumendicken Geflecht hinterher. Natürlich hat sein Sog auch mich erfasst: Medienkult, Ablenkung vom Hier und Jetzt durch Film, Internet und ja, Bücher – auch dafür kann das Seil ein Bild sein: für die willkommene Flucht aus einer Realität, die in ihrer Einförmigkeit, selbst im Wohlstand, unerträglich geworden ist.
Ein Kritiker hat geäußert, die Erzählung sei zu lang geraten. Ich meine, dass dieses sich reiben an der vermeintlichen Länge – bei nur 181 Seiten – eine weitere, bewusst evozierte Assoziation dieser Parabel ist. Schließlich schwelt und schwärt unsere politische Situation in Europa auch schon viel zu lange, ohne dass irgend etwas geschieht. Indignez-vous, Occupy – mit viel Elan begonnene Bewegungen laufen sich tot. Oder wir üben damit nur für den ganz großen Eklat. Wer weiß.
Susanne Rikl, München