Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Semel, Nava

Und die Ratte lacht

Untertitel
Roman. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
Beschreibung

Haben Erinnerungen eine Zukunft? Was geschieht mit ihnen, wenn die Menschen, die sich erinnern konnten, gestorben sind? Erinnerungen können viele Formen annehmen: Träume, Geschichten, Legenden, Mythen …
(Klappentext)

Verlag
Persona Verlag, 2007
Format
Gebunden
Seiten
224 Seiten
ISBN/EAN
978-3-924652-35-7
Preis
22,00 EUR

Zum Buch:

Nava Semel geht in ihrem brillant geschriebenen und verstörenden Buch der Frage nach, was mit Erinnerungen geschieht, die nicht in Sprache zu fassen sind und wie sich der Blick auf die Ereignisse im Holocaust verändert und damit auch das Geschehen selbst verzerrt oder in Frage stellt. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Befragung einer Holocaustüberlebenden durch deren Enkelin, die die Geschichte ihrer Großmutter für ein Schulprojekt aufzeichnen soll. Aber die alte Frau will und kann die Geschichte nicht erzählen, die sich durch ihren inneren Monolog, fragmentarisch und zerrissen, in all ihrem Grauen für den Leser zusammensetzt, der erfährt, wie das damals fünfjährige Kind von seinen Eltern in Polen zu einer katholischen Bauernfamilie gebracht wird, um es zu retten, aber dann völlig allein in ein Erdloch gesteckt und von dem halbwüchsigen Sohn der Familie immer wieder vergewaltigt wird. Die Enkelin erfährt davon nichts; sie kann in dem Aufsatz, den sie für ihre Lehrerin schreibt, nur ihr Scheitern eingestehen und sich dann selbst eine Geschichte zusammenreimen, die von den tatsächlichen Ereignissen nicht entfernter sein könnte und in den Klischees des Erinnerungsdiskurses verharrt.  

In der Folge macht sich die Geschichte quasi selbstständig: anonym ins Internet gestellte Gedichte, die Bruchstücke der Geschichte in rätselhaften Bildern vermitteln, werden bei Jugendlichen „Kult“ und geben zu Deutungen Anlass, die sich von ihrem Gegenstand immer weiter entfernen. In einer fernen Zukunft und einer mittlerweile neuronal vernetzten Gesellschaft, die praktisch keine Möglichkeit mehr besitzt, die historische Realität des 20. Jahrhunderts zu verstehen, versucht dann eine junge Frau, diese Gedichte zu entziffern.   Den Abschluss des Buches bildet das Tagebuch des polnischen Priesters, der das Kind 1943 aus seinem Erdloch gerettet und bis zum Ende des Krieges bei sich versteckt hat. Dieses Tagebuch bezeugt und ergänzt die bruchstückhaften Erinnerungen der alten Frau und steht in erschütterndem Gegensatz zu den Verzerrungen, zu denen es kommen kann, wenn sich Geschichte auflöst und in interpretativer Beliebigkeit verliert. Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main