Zum Buch:
Am Anfang steht ein Tod: Kweku Sai, einst Star-Chirurg in Boston, einst Ehemann der schönen Folsadé, vierfacher Vater und auf dem Weg, sich und seiner Familie den amerikanischen Traum zu erfüllen, stirbt in dem von ihm selbst entworfenen Haus in Ghana am Herzinfarkt. Es ist ein langes Sterben, erfüllt von Erinnerungen: an die von Armut und dem abwesenden Vater geprägte Kindheit in Ghana, den erträumten Ausstieg aus der vorgezeichneten Lebensbahn, das Studium in den USA, die Begegnung mit seiner späteren Ehefrau, die Geburt der Kinder, vor allem der jüngsten Tochter, die er gegen alle Erwartungen buchstäblich ins Leben gezwungen hat, und an das Scheitern aller Pläne, nachdem man ihn, den fähigsten Chirurgen seiner Klinik, überredet hatte, entgegen aller Hoffnung die unheilbare Patientin zu operieren, deren Familie ein wichtiger Sponsor der Klinik war, nur um ihn nach dem voraussehbaren Scheitern der Operation zum Sündenbock zu machen und fristlos zu entlassen. Erinnerungen an die Unfähigkeit, seiner Frau die Kündigung einzugestehen, seine Versuche, eine neue Stelle zu finden, und schließlich an die Flucht zurück nach Ghana, die Planung seines Hauses, die neue Lebensgefährtin. Ein langes Sterben am Ende eines von Schuld und Scham gezeichneten Leben.
Zur Beerdigung versammelt sich die Familie in Ghana: Olu, der älteste Sohn, ebenfalls Arzt, mit seiner Frau Ling, die begabte und schöne Taiwo, die zum Unverständnis ihrer Familie ihr Jurastudium abgebrochen hat und sich jetzt mit diversen Jobs durchschlägt, ihr Zwillingsbruder Kehinde, der mittlerweile ein angesehener Künstler geworden ist, und Sadie, die jüngste, die sich vor ihren Gefühlen zu ihrer besten Freundin in die Bulimie flüchtet. Sie alle wurden von der Todesnachricht aus ihrem mehr oder weniger komplizierten Leben gerissen, sind seit langer Zeit erstmals wieder mit sich und ihrer Mutter konfrontiert und gezwungen, zu tun, was die ganze Familie nie konnte: miteinander reden.
Taiye Selasi erzählt eine Familiengeschichte aus einer globalisierten Welt: die Protagonisten bewegen sich zwischen Accra, Boston und London, nirgends richtig zu Hause, belastet von den nie ausgesprochenen Traumatisierungen der Elterngeneration und von einem Schweigen, das es ihnen unmöglich macht, über die eigenen Verletzungen zu sprechen. Sie erzählt von Afrika und von dem Bild von Afrika, das – nicht nur – diese Familie verfolgt, jenseits des üblichen Rassismus, als Bild, das Scham auslöst und den Zwang, zu beweisen, dass man selbst eben nicht „afrikanisch“, sprich: arm, träge, verantwortungslos und ohne jeden Ehrgeiz ist, nicht der geborene Verlierer der Weltgeschichte. Und sie erzählt diese Geschichte in einer herzzerreißend schönen, musikalischen Sprache, deren Rhythmus sich dem Leser mitteilt. Ein so außergewöhnliches wie eindrucksvolles Buch, das noch lange weiterwirkt.
Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main