Zum Buch:
Eines wollte der israelische Schriftsteller und Holocaust-Überlebender Adam Schumacher nie: nach Deutschland zurückkehren. Nicht einmal, um seine geliebte Frau Bella zu begleiten, die im Land der Täter noch eine alte Schuld zu begleichen hatte. Jetzt aber, Bella ist seit Jahren tot, muss der mittlerweile Neunzigjährige nach Deutschland, um für die Literaturzeitschrift seines alten Freundes Max Bellas und seine Lebensgeschichte aufzuschreiben. Das duldet keinen Aufschub, spürt er doch, dass ihn sein Gedächtnis zunehmend im Stich lässt und er Bella zu vergessen droht. Die Lektorin Eva in München soll ihm helfen, das Dickicht seiner Erinnerungen zu lichten und die Gedächtnislücken aufzufüllen. Dabei passieren ihm merkwürdige Dinge: Gleich zu Beginn der Arbeit gibt sich ein anderer bei Eva für ihn aus, und irgendjemand schreibt nachts seine Texte um. Heinzelmännchen? Um ihn abzulenken, nimmt ihn Eva, die ihm allmählich zur Tochter wird, in eine Disco mit, wo er beim Tanz einen Schlaganfall erleidet. Und erst jetzt, wo er die Sprache verloren hat, kann er seine Geschichte wieder zusammensetzen.
Der Filmemacher Ron Segal hat mit „Jeder Tag wie heute“ ein inhaltlich wie formal ungewöhnliches literarisches Debüt vorgelegt. Er verwirrt den Leser zunächst durch abrupte und unerklärte Ortswechsel, Zeitsprünge und surreale Traumbilder, fängt ihn dann durch die linear erzählte Überlebens- und Freundschaftsgeschichte der drei Protagonisten Adam, Bella und Max wieder auf und endet mit einer Reflexion über Gedächtnis, Tod und Würde – und über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Enkel- und Urenkelgenerationen, vom Holocaust und vom Leben danach zu erzählen. Das ist beeindruckend und überzeugend – und macht dazu Lust auf den (Animations-) Film zum Buch, an dem Segal gerade arbeitet.
Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main