Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Schoch, Julia

Mit der Geschwindigkeit des Sommers

Untertitel
Roman
Beschreibung

Julia Schochs kurzer, eindringlicher Roman beginnt mit einer Tragödie. Die Schwester der Erzählerin ist nach New York gereist und hat sich dort mit Schlaftabletten vergiftet. Am Vortag hatte sie sich noch ein letztes Mal mit ihrem Geliebten getroffen und dann am Abend mit ihrer jüngeren Schwester telefoniert.

Verlag
Piper Verlag, 2009
Format
Gebunden
Seiten
160 Seiten
ISBN/EAN
978-3-492-05252-8
Preis
14,95 EUR

Zum Buch:

Julia Schochs kurzer, eindringlicher Roman beginnt mit einer Tragödie. Die Schwester der Erzählerin ist nach New York gereist und hat sich dort mit Schlaftabletten vergiftet. Am Vortag hatte sie sich noch ein letztes Mal mit ihrem Geliebten getroffen und dann am Abend mit ihrer jüngeren Schwester telefoniert.

Distanziert, analytisch und akribisch betrachtet die Erzählerin den Lebensentwurf der älteren Schwester. Dazu führt sie uns zurück in die Kleinstadt am Stettiner Haff, zu DDR-Zeiten eine Garnisonstadt, „ein Militärstützpunkt, ein künstliches Gebilde in einer abgeschiedenen Gegend. Ein aus dem Nichts gestampfter Ort“. In dieser Stadt verbrachten die beiden Offizierstöchter ihre Kindheit, und die ältere Schwester lebte dort bis zuletzt, ohne auch nur den Wunsch zu spüren, den Ort zu verlassen. Knapp, zwingend und lakonisch beschreibt Schoch die Tristesse eines Ortes, an dem alle „aus dem selben Grund anwesend“ sind, sich alles auf einen Befehl zurückführen lässt und die Enttäuschung über fehlende Lebensperspektiven mit der Zeit der Trägheit weicht. Es ist unnötig, den Ort zu benennen; nicht überflüssig ist aber, darauf zu verweisen, dass der wirkliche Erfahrungshintergrund der Autorin diesem Ort offenbar nicht unähnlich ist.

Genauso distanziert, analytisch und akribisch betrachtet Schoch den Lebensentwurf der älteren Schwester und dessen Erschütterung durch die politische Wende. Diese Erschütterung lässt sich äußerlich gar nicht unmittelbar festmachen. Sie lebte scheinbar zufrieden mit ihrer Familie in einem Einfamilienhaus und wirkte stets emsig beschäftigt, auch wenn sie nicht berufstätig war. Die typische Wendeverliererin sieht anders aus. Und doch gibt sie sich, gelangweilt und unzufrieden, dem vergeblichen Gedankenspiel hin, in dem alten politischen System hätte ein anderer Lebenslauf auf sie gewartet. „Die Welt des Sozialismus hatte die Wünsche schrumpfen lassen. Eine komfortabel eingerichtete Wohnung, etwas Abwechslung im Alltagsprogramm (…) Wie die meisten Menschen merkte auch meine Schwester erst spät: Die Träume waren so klein gewesen, daß ihre Erfüllung unspektakulär leicht war.“

Angesichts dieses großen, zeitgeschichtlichen und psychohistorischen Themas legt die Autorin kein allzu großes Gewicht auf die Ausgestaltung der Nebenfiguren oder die psychologische Plausibilität des Selbstmordes. Von der Familie, vom Geliebten, aber auch vom Verhältnis zur Schwester zum Beispiel erfährt man fast nichts, und das kann man durchaus bedauern. Was allerdings nach der Lektüre bleibt, ist der Eindruck einer bezwingend kühlen gedanklichen und sprachlichen Schärfe. Und so fröstelt man bei der klaren Nachwende-Bilanz der Erzählerin: „Ich halte es für möglich, daß der wortlose Gleichmut jener Zeit in uns geblieben ist, daß wir ihn mitschleppen bis zum Tod. Und daß gar nichts ihn ersetzen kann, nicht eine neue Liebe, auch kein Plan zum Fortgehen, ja: nicht einmal die Lust der Freiheit.“

Claudia Biester, Frankfurt am Main