Zum Buch:
Jochen Schimmang, Jahrgang 1948, gilt als Chronist der Bonner Republik, und seinen neuen Roman könnte man zu Recht als Krönung dieser sehr persönlichen BRD-Chronik bezeichnen, verbinden sich doch hier Setting, Protagonisten und Erzählung in geradezu idealer Weise. Rainer Roloff, der Laborschläfer, bessert seine karge Rente durch die Teilnahme an einem Projekt aus der Schlafforschung auf, bei dem es um Erinnerungen geht, die im Schwebezustand zwischen Schlaf und Erwachen auftreten und den Zusammenhang von kollektivem und individuellen Gedächtnis erhellen sollen. Und wie das so ist mit Erinnerungen, schon gar solchen im Halbschlaf, führen sie kreuz und quer durch Raum und Zeit, zurück in das zerbombte Köln der Nachkriegszeit, zu Reisen nach Frankreich, Holland und Italien, hüpfen von der Barschel-Affäre über die Friedensdemo im Bonner Hofgarten bis zum Mauerfall, von Proustzitaten über Vermeerbilder zur Popmusik und wieder zurück zur letzten Liebe und zum Waldspaziergang mit den Eltern, bei dem der Vater dem heulenden Sechsjährigen verbietet, nach seiner (eingebildeten) Zündapp-Maschine zu suchen, eine Erinnerung, angesichts derer der mittlerweile über Siebzigjährige in aller Öffentlichkeit erneut in Tränen ausbricht.
Roloff ist der ideale Protagonist für diese Erinnerungsschübe: der Soziologe mit der „gebrochenen Erwerbsbiographie“ (sprich Sprachlehrer, Kellner, Lagerist usw.) fühlt sich als teilnehmender Beobachter des Alltagslebens und bezeichnet sich am liebsten als „Privatgelehrten“. In dieser Eigenschaft und dank seiner unerschütterlichen Neugier entgeht ihm denn auch nicht, dass im Schlaflabor des Dr. Meissner einiges in Unordnung gerät, nicht zuletzt in dessen Kopf …
Laborschläfer ist ein Buch, das einfach Spaß macht. Hier zieht sich durch die Melancholie, die Schimmang so gerne nachgesagt wird, ein Witz, eine Frechheit und eine Respektlosigkeit, die einfach erfrischend sind. Die Genauigkeit der Sprache und der scharfe Blick des in jeder Beziehung ungebundenen Eigenbrötlers machen die „Erinnerungstrümmer“ ungeheuer lebendig und verleiten dazu, mal wieder in der eigenen Trümmerwelt des Gedächtnisses zu graben. Und sogar die immer mal wieder eingestreuten Witze und Kalauer sind meist nur eins: einfach gut!
Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main