Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Salnikow, Alexei

Petrow hat Fieber

Untertitel
Gripperoman. Aus dem Russischen von Bettina Kaibach
Beschreibung

Etwa eine Woche umspannt die Erzählzeit in Alexei Salnikows Roman: es beginnt mit Petrow, einem Automechaniker, der sich, vom Fieber einer Grippe geplagt, die Nacht um die Ohren schlägt. Das Fieber überträgt sich sowohl auf die Handlung wie auf die Ästhetik des Romans: dass Petrow mit seinem eigentlich verhassten Freund Igor einen Leichenwagen samt Sarg entführt, erscheint weniger dystopisch oder absurd, als dass es die konstante Wahrnehmungsverschiebung eines leichten Fiebers nachempfindet. Als Petrow endlich zu Hause ankommt, überträgt sich die Grippe auf seine Frau Petrowa, die schließlich den Sohn Petrow Junior ansteckt, mit dessen Erinnerung an das Jolkafest der Roman endet. Die Realität verliert sich nicht in wahnhafter Entgrenzung, aber ausnahmslos alles erscheint greller und weicher zugleich. Und in dieser Auflösung gelingt es Salnikow, ein Bild des kulturellen und sozialpolitischen Russlands erscheinen zu lassen.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Suhrkamp Verlag, 2022
Format
Gebunden
Seiten
364 Seiten
ISBN/EAN
978-3-518-43086-6
Preis
25,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Alexei Salnikov, geboren 1978 in Tartu, Schriftsteller, Mechaniker, Hausmeister, Klempner, Journalist und Übersetzer, debütierte zunächst als Lyriker. 2018 sorgte er mit seinem Roman Petrow hat Fieber. Gripperoman in Russland für Furore und wurde seitdem mehrfach ausgezeichnet. Er lebt in Jekaterinburg, Ural.

Zum Buch:

Etwa eine Woche umspannt die Erzählzeit in Alexei Salnikows Roman: es beginnt mit Petrow, einem Automechaniker, der sich, vom Fieber einer Grippe geplagt, die Nacht um die Ohren schlägt. Eine entführte Leiche und das Wiedersehen mit einem alten Rivalen spielen dabei eine Rolle. Das Fieber überträgt sich auf die Handlung wie auf die Ästhetik des Romans: Petrows nächtliche Eskapaden mit seinem eigentlich verhassten Freund Igor erscheinen weniger dystopisch oder absurd, als dass sie die konstante Wahrnehmungsverschiebung eines Fiebers nachempfindet. Dieses führt Petrow nämlich nicht zum Auskurieren ins Bett, es gibt vielmehr eine Grundstimmung des Durchhaltens, die riesige Mengen an Wodka und Medikamenten erfordert. Als Petrow endlich doch zu Hause ankommt, überträgt er den Virus auf seine Frau Petrowa, die schließlich den Sohn Petrow Junior ansteckt, mit dessen Erinnerung an das Jolkafest der Roman endet. Die Realität verliert sich nicht in wahnhafter Entgrenzung, aber ausnahmslos alles erscheint greller und weicher zugleich. Und in dieser Auflösung gelingt es Salnikow, ein Bild des kulturellen und sozialpolitischen Russlands erscheinen zu lassen.

Salnikows Roman zeigt sich in dieser Hinsicht nicht nur als ein stilistischer Ausnahmefall, sondern verarbeitet allegorisch das Gefühl einer russischen Gegenwart, über der die Feste und Bilder der (Post-) Sowjetzeit ebenso epigonenhaft stehen wie die Tradition der großen realistischen Literatur. Die Thematik des Romans lässt unmittelbar an den anderen Virusroman der russischen Gegenwart denken: Vladimir Sorokins Der Schneesturm. Im Gegensatz zu dessen fieberwahnwitzigen Ironisierung der russischen Literatur aus dem stets steckenbleibenden Pferdewagen des Landarztes ist Petrow hat Fieber in seiner Ikonographie nicht nur stärker der Gegenwart verbunden, sondern auch entschieden handlungsgetrieben. Zudem fordert die Popkultur sowohl durch die Science-Fiction-Comics, die Petrow zeichnet und die eigentlich seine einzige Verbindung zu seinem Sohn darstellen, als auch zahlreiche Anspielungen auf das Fernseh- und Computerspielverhalten der 2000er ihren ‘Raum. In dieser Hinsicht lässt der Roman auch an den Zeitreiseroman Die verschissene Zeit von Barbi Marković denken.

Der Versuch, die Fülle der Handlung in diesem Rahmen zusammenzufassen, wäre aussichtslos, aber auf die grandiose Figur der Petrowa soll noch kurz eingegangen werden: als Bibliothekarin ist sie in Geduld und genauer Beobachtungsgabe geschult. Beide Fähigkeiten kommen ihr als Serien-Männermörderin zugute. Die Planung und das Scheitern eines weiteren Mordes ist aber nur eine von zahlreichen Volten, die dieser alles in allem schnelle und bildreiche Romans schlägt. Mit Gewalt, Resignation, unverhofften Momenten der Nähe oder Kälte verdichtet sich der Roman zu einem Bild, dem man ein Gefühl für die russische Gesellschaft weniger ansehen als nachempfinden kann.

Unter dem Titel Petrovs Flu kommt der Roman mit einem Drehbuch und unter der Regie von Kirill Serebrennikov gerade in die deutschen Kinos, nachdem er bereits 2021 auf den Filmfestival in Cannes gezeigt worden war.

Theresa Mayer, Frankfurt a.M.