Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Sackville-West, Vita; Nicolson, Harold

In der Ferne so nah

Untertitel
Briefwechsel einer ungewöhnlichen Liebe. Herausgegeben und kommentiert von Barbara Becker
Beschreibung

Neunundvierzig Jahre lang waren Vita Sackville-West und Harold Nicolson verheiratet, und neunvierzig Jahre lang hielt ihre Liebe. Vielleicht, weil sie wohl mehr Zeit getrennt als zusammen verbracht haben. Dass die Verbindung nie abriss, lag daran, dass sie im ständigen Austausch blieben – durch Briefe. Barbara von Becker hat eine kleine Auswahl dieser Briefe zu einem hübschen Bändchen zusammengestellt und kommentiert. Sicher nur ein Appetithappen, aber einer, der Lust macht auf mehr davon.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Hoffmann und Campe, 2012
Format
Gebunden
Seiten
128 Seiten
ISBN/EAN
978-3-455-50243-5
Preis
12,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Victoria Mary Sackville-West (1892–1962), genannt Vita, entstammt dem britischen Hochadel und wuchs auf dem Familiensitz Schloss Knole in Kent auf, dem sie mit ihrem Roman The Edwardians (Schloss Chevron) ein Denkmal setzte. 1913 heiratete sie den Diplomaten und Schriftsteller Harold Nicolson. Das Paar hatte zwei Söhne. 1930 erwarb sie Sissinghurst Castle in Kent, wo sie zusammen mit ihrem Mann einen der schönsten Gärten Englands entwarf und anlegte.
Sie publizierte in ihrem Leben über fünfzig Bücher, darunter Gedichtbände, Biographien und Romane. Außerdem schrieb sie jahrelang eine höchst erfolgreiche Gartenkolumne für den Observer und betätigte sich als Reiseschriftstellerin. Berühmt wurde sie auch durch ihre Freundschaft mit Virginia Woolf, für deren Roman Orlando sie Inspiration und Vorlage war.

Sir Harold George Nicolson (1886–1968) war der jüngere Sohn des Diplomaten Arthur Nicolson. Er besuchte das Balliol College in Oxford, trat selbst 1909 in den diplomatischen Dienst ein und bekleidete verschiedene Posten in Konstantinopel, Teheran und Berlin. 1929 verließ er den diplomatischen Dienst und arbeitete als Journalist und Autor. Er verfasste u. a. Biographien von
Verlaine, Tennyson, Byron und dem englischen König George V. sowie Bücher über das Diplomatenleben und essayistische Werke. 1935 zog Nicolson als Abgeordneter der National Labour Party in das Unterhaus ein. 1940 wurde er parlamentarischer Staatssekretär im Informationsministerium in der Regierung von Winston Churchill. 1953 wurde er zum Ritter geschlagen.

Zum Buch:

Dieses Buch ist das Zeugnis einer untergehenden Kulturtechnik. Im Zeitalter von Telefon, Email und Twitter ist es – zumindest für jüngere Leser – kaum mehr vorstellbar, dass es Menschen gab, die sich über fast fünfzig Jahre hinweg Briefe schrieben. Regelmäßig, manchmal täglich. Es ist beglückend, wenn die Nachwelt davon Kenntnis nehmen kann, wie im Fall der Eheleute Vita Sackville-West und Harald Nicolson.

Die beiden lernen sich 1910 kennen. Die 18-jährige Vita gehört dem englischen Hochadel an, der 24-jährige Harold steht am Beginn seiner diplomatischen Laufbahn. Sie verlieben sich ineinander, heiraten, bekommen zwei Söhne. Schon bald bildet sich das Muster in ihrer Ehe heraus, dem wir den Briefwechsel verdanken: Vita hasst das Leben als Diplomatengattin und ist – von einigen Ausnahmen abgesehen – nicht bereit, Harold auf seine diversen Posten in unterschiedlichen Ländern zu folgen. Später, als Nicolson den diplomatischen Dienst aufgibt und in die Politik geht, lebt er die Woche über in London, sie zumeist in Sissinghurst, einem kleinen Schloss, dessen von beiden angelegter Garten bis heute berühmt ist. Ihre Liebe hat die Trennungen überstanden und ist im Laufe der Jahre eher gewachsen.

Die Beziehung hat aber noch etwas anderes ausgehalten: Nach den ersten Ehejahren stellten beide fest, dass ihre sexuellen Neigungen eher dem eigenen Geschlecht galten, und sie gestatteten sich, dies auch zu leben. Bei Nicolson scheint dies in ruhigen Bahnen verlaufen zu sein. Vitas Affairen waren da impulsiver und zumindest ihre Leidenschaft für Violet Trefusis stellte die Ehe der beiden auf eine harte Probe. Aber auch das überdauerte die Liebe.

Neben berührenden Zeugnissen der Zuneigung sind die Briefe spannende Zeitdokumente. Vita lebte zwar recht zurückgezogen, pflegte aber viele interessante Freundschaften. Die zu Virginia Woolf dürfte darunter die bekannteste sein. Nicolson wiederum war dank seiner Tätigkeiten dicht am Puls des politischen Geschehens.

„In der Ferne so nah“ ist eine Auswahl aus den Briefen der beiden. Sie sind gekürzt, ihre chronologische Reihenfolge wurde aus „dramaturgischen Gründen“ nicht immer exakt eingehalten – und auf 114 Seiten kann das Büchlein natürlich auch nur ein paar Schlaglichter auf das Leben der beiden Schreiber werfen. Es ist also mitnichten eine ernsthafte Briefausgabe, und die Kommentare der Herausgeberin erfüllen nur den Zweck, dem Leser den jeweiligen Hintergrund zu vermitteln. Der Briefwechsel ist das ideale Gastgeschenk, unterhaltsame Lektüre für eine mittellange Bahnfahrt oder eine gute Bettlektüre. Für all das ist es ideal, und da Vita Sackville-West genauso wie Harald Nicolson literarisch unglaublich produktiv war, macht es große Lust darauf, mehr von ihnen zu lesen. Leider sind ihre Bücher fast nur noch antiquarisch zu erhalten.

Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt