Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Ruge, Eugen

In Zeiten des abnehmenden Lichts

Untertitel
Roman einer Familie
Beschreibung

Deutscher Buchpreis 2011

Nicht wenige literarische Darstellungen der untergegangenen DDR kranken daran, dass die Autoren, seien sie im kulturellen Leben ihres Landes als Parteigänger oder Dissidenten in Erscheinung getreten, zwischen Apologetik und Verdammung schwanken und den ästhetisch unbefangenen Blick auf die Realität dieses seltsamen Staatsgebildes durch ein Übermaß an Sentiments verschleiern. Eugen Ruges Roman gehört ausdrücklich nicht zu dieser Kategorie von Bewältigungsprosa.

Verlag
Rowohlt Berlin Verlag, 2011
Format
Gebunden
Seiten
432 Seiten
ISBN/EAN
9783498057862
Preis
19,95 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Eugen Ruge, 1954 in Soswa (Ural) geboren, studierte Mathematik an der Humboldt-Universität und wurde wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Physik der Erde. Er war beim DEFA-Studio für Dokumentarfilm tätig, bevor er 1988 aus der DDR in den Westen ging. Seit 1989 arbeitet er hauptberuflich fürs Theater und für den Rundfunk als Autor und Übersetzer.

Zum Buch:

Nicht wenige literarische Darstellungen der untergegangenen DDR kranken daran, dass die Autoren, seien sie im kulturellen Leben ihres Landes als Parteigänger oder Dissidenten in Erscheinung getreten, zwischen Apologetik und Verdammung schwanken und den ästhetisch unbefangenen Blick auf die Realität dieses seltsamen Staatsgebildes durch ein Übermaß an Sentiments verschleiern. Eugen Ruges Roman gehört ausdrücklich nicht zu dieser Kategorie von Bewältigungsprosa.

Der 1954 im Ural geborene Autor ist ein teilnehmender Beobachter der besonderen Art. Seine Sprache ist unpathetisch, sein Sarkasmus ist menschenfreundlich. Er nimmt sich seiner ins Mahlwerk zweier totalitärer Systeme geratenen Protagonisten mit großer Behutsamkeit an und stattet sie mit einer unfreiwilligen Komik aus, die sie niemals denunziert. Im Mittelpunkt des drei Generationen überspannenden, vom mexikanischen Exil über Sibirien in den neu gegründeten Arbeiter- und Bauernstaat führenden Deutschlandromans steht ein Familienfest, dass am 1. Oktober 1989 kurz vor dem Mauerfall in Ostberlin stattfindet und dem 90. Geburtstag des SED-Veteranen Wilhelm gilt. Dieser Großvater, ein Proletarier wie aus dem Bilderbuch, kehrt 1952 mit seiner Frau Charlotte aus dem südamerikanischen Exil zurück und rückt zum Leitungskader im Kulturapparat der DDR auf, während sein vor den Nazis verfolgter, ins sowjetische Exil geflohener Sohn Kurt nach dem Hitler-Stalin-Pakt verhaftet und nach Sibirien verbannt wird. Dort heiratet er die Russin Irina. Aus der Verbindung geht der Sohn Alexander hervor, eine Romanfigur, die mit der Person ihres Autors weitgehend identisch ist. Das Geburtstagsfest wird aus wechselnden Perspektiven erzählt und erhält durch die charakterliche Vielfalt der Personen einen Grad der Intensität, die den Geschichten von Exil und Verfolgung, Utopiegläubigkeit und Desillusionierung, Lügen und Verrat ein zweites Leben verleiht.

Am Ende, das mit dem Romananfang im Jahr 2001 zusammenfällt, sind den beteiligten Menschen die ideologischen Hüllen und die Insignien der Macht vollends abhanden gekommen. Entblößt stehen sie im Wind der Geschichte. Der ehedem wortmächtige, von der Demenz heimgesuchte Kurt bekommt von seinem krebskranken Sohn Alexander das Essen auf Rädern serviert und wird beim hilflosen Hantieren mit dem Besteck darauf hingewiesen, dass er die Gabel falsch herum hält: „Er sprach ohne Betonung, ohne mahnenden Unterton, um die Wirkung der reinen Begriffe auf Kurt zu testen. Keine Wirkung. Null. Was ging in diesem Kopf vor? In diesem immer noch durch einen Schädel von der Welt abgegrenzten Raum, der immer noch irgendeine Art Ich enthielt. Was dachte er? Dachte er überhaupt? Wie dachte man ohne Worte?“

Das allmähliche Verlöschen eines blendenden, weltumspannenden Ideals, der Niedergang des Hauses Ruge. Eine meisterliche proletarische Variante der Buddenbrooks. Extrem lesenswert, vor allem für uns Westler.

Günter Franzen, Frankfurt am Main