Zum Buch:
Was tun in einer Welt, die so vertraut ist, dass sie einen zu zerstören vermag? In der überall Zeichen einer Veränderung zum Unguten zu lesen sind, während der eigene Alltag sich so sehr automatisiert hat, dass das Leben darin abhanden zu kommen droht? Ein Mann beschließt, fort zu gehen. Aus allem, was ihm vertraut ist. Irgendwohin, wo er noch nie war. Eugen Ruges neues Prosastück ist ein Juwel an Selbstreflexion auf der Suche nach Wahrhaftigkeit, die Sprache von großer Schlichtheit und dabei stark in ihrem Ausdruck.
Am Neujahrstag verlässt der Mann Berlin und fährt aufs Geratewohl Richtung Süden. In die Wärme. Für das, was ihn dort erwartet, gibt es keine Bilder in seinem Kopf, keine Worte in der fremden Sprache, die er verstünde. Sehnsucht und Hoffnung bleiben auch in dem andalusischen Fischerdorf Cabo de Gata zunächst unbefriedigt. Nachts ist es kalt, die Freiheit kostet jeden Tag ihr Geld, und die Inspiration für einen neuen Romans lässt auf sich warten.
Schon nach kurzer Zeit ist auch hier alles gleich: Das Mittagsmenü, immer Fisch, unfreundlich serviert von der Frau mit dem gigantischen Hinterteil. Sechs Kerzen, die der Schriftsteller am Abend in seinem Zimmer abbrennt, damit sich der Raum ein wenig erwärmt.
Bis der Mann auf eine Katze trifft, am Abend. Ihre Gesellschaft sucht er fortan, und sie entzieht sich ihm, spielt mit ihm wie eine Geliebte, wie die Ideen, die ihn fliehen, sobald er ihnen hinterher jagt.
“Ich erinnere mich”, so beginnt das erste Kapitel und so beginnen viele Sätze, vielleicht eine Reminiszenz an Joe Brainards Klassiker “I remember”, vielleicht ein frei gewähltes Stilmittel. Das letzte Kapitel beginnt mit “Ich weiß”. Es ist ein enormer Unterschied, ob man sich erinnert oder ob man weiß. Den Mann auf dem Weg vom Erinnern zum Wissen zu begleiten, ist schmerzlich und erfreulich zugleich. Manchmal ist die Luft, die ihn umgibt, so schwer, dass das Atmen dem Trinken gleicht, um im nächsten Moment in erstaunlicher Leichtigkeit alles schweben zu lassen.
Susanne Rikl, München