Zum Buch:
Pompeji ist eine Chronik der letzten zwei Jahre vor dem Ausbruch des Vesuvs und dem Untergang der Stadt. Man schreibt – nach dem Römischen Kalender – das Jahr 830. Fünfzehn Jahre vorher hat ein heftiges Erdbeben die Stadt stark zerstört, die Bevölkerung leidet noch immer an den Folgen. Chronist der Ereignisse ist ein unbekannter Überlebender der Katastrophe, die angeblich aus heiterem Himmel über die ahnungslosen Bewohner hereinbrach. Aber heiter war nur das Wetter und ahnungslos waren bei weitem nicht alle. Und so beginnt die Chronik mit der Aufforderung an die Leser: „Vergiss und lies. Dies ist der wahre Bericht vom Untergang Pompejis und seiner Bewohner.“
Hauptfigur ist der als Kind mit den Eltern aus Pannonien zugewanderte Jowna, alias Josephus, genannt Josse, ein armer Nichtsnutz, der kaum die Schule besucht hat. Josse ist ungebildet und grob, aber schlau und durchtrieben, sein hervorstechendstes Charaktermerkmal ist es, keinen Charakter zu haben, dafür aber das Geschick, jede sich bietende Gelegenheit zu seinem Vorteil zu nutzen.
Seit einiger Zeit mehren sich in der Umgebung der Stadt seltsame Phänomene – Vögel fallen vom Himmel, Tiere sterben ohne erkennbaren Grund, zwei Hirten werden unverletzt, aber tot aufgefunden. Kaum jemand kümmert sich darum. Zufällig stößt Josse zu einer kleinen Versammlung von Leuten die glauben, dass Pompeji auf einem Vulkan erbaut wurde, dessen baldigen Ausbruch ein Redner verkündet. Stotternd und bellend bricht es aus Josse heraus, dass, „da der Berg sich kaum von der Stelle bewegen wird, wohl kaum etwas anderes übrig bleibt, als uns selbst von der Stelle zu bewegen.“ Das ist – erstaunlicherweise – die Geburtsstunde des Anführers Josse, der zuerst mit einigen anderen am Meer eine Art Aussteigerkolonie gründet. Nach und nach erkennen einige einflussreiche Bürger, dass sich dort mit der Errichtung einer professionell erbauten neuen StadtGeld verdienen läßt. So wird Josse vom Aussteiger zum Aufsteiger und, als begnadeter Populist, zunehmend einflussreich. Als ihm die verführerische Livia, die einflussreichste Frau der Stadt, ihre Unterstützung zusagt, falls er seine Meinung ändert und doch für das Bleiben in der Stadt eintritt, steht er vor der Frage: „Wie kehrt man um, ohne zu wenden? Wie übt man Verrat, ohne Verräter zu sein?“
Pompeji hat nicht die beklemmende Atmosphäre von Ruges bekanntesten Büchern Zeiten des Abnehmenden Lichts und Metropol, die das Schicksal ihrer Protagonisten im Räderwerk eines totalitären Systems zeigen. Dazu ist die Bedrohung durch einen explodierenden Vulkan, von dem viele damals noch nicht einmal wussten, dass es so etwas gibt, zu vage. Wenn es nicht so langweilig klänge, könnte man das Buch als ein Lehrstück für den Umgang einer Gesellschaft mit einer drohenden Katastrophe bezeichnen – aber das Buch ist alles andere als langweilig! Die fehlende Bereitschaft, etwas Unbequemes zur Kenntnis zu nehmen, das Gegeneinander unterschiedlicher Gruppen und Ideologien, die Interessen Einzelner, die ihr Handeln als „dem Wohle des Volkes dienend“ verkaufen – das kommt einem doch sehr bekannt vor.
Pompeji ist eine fesselnde, hintergründige Satire, mit klug gezeichnetem Personal, differenziert geschildert bis in die kleinsten Figuren, oft beklemmend entlarvend, aber auch voller beißender Ironie und Komik. Lion Feuchtwanger schrieb über den Historischen Roman, dass man „die Linien eines Gebirges aus der Entfernung besser erkennt als mitten im Gebirge“. Dem braucht man nichts hinzuzufügen.
Ruth Roebke, Frankfurt a.M.