Zum Buch:
Die Romanhandlung wird mehrmals durch Einschübe unterbrochen. Dort schildert Rothmann auf jeweils nur wenigen Seiten kenntnisreich und unter Einsatz des bergmännischen Fachjargons wie des alltagskulturellen Idioms die Arbeit unter Tage. Poetischer Höhepunkt ist dort ein mystischer Augenblick, in dem der Bergmann das in der Kohle gebannte Fossil eines urzeitlichen Vogels betrachtet, das in der Berührung mit Sauerstoff sogleich zerfällt. Mutter und Schwester reisen in die Ferien zur Großmutter, die in Schleswig-Holstein auf dem Land lebt. Julian und sein Vater bleiben zu Hause zurück. Das Geld reiche nicht für alle vier, heißt es. Der Abschied bei der Abreise bleibt verhalten, Julian ist unschlüssig seine Mutter zu umarmen, auch die Eltern, die sich schwer tun, zärtliche Gefühle zuzulassen, geschweige denn zu zeigen, tun es nicht. Zornausbrüche – etwa wenn bei der Rückkehr des Vaters von der Schicht das Essen nicht auf dem Tisch steht oder sein Fahrrad nicht vor dem Haus, wenn er zur Schicht fahren muss – und Prügel – etwa wenn die Mutter von Julians Schulschwänzen erfährt – sind dagegen üblich. Immerhin schlägt der Vater im Unterschied zur Mutter seinen Sohn nicht. Doch viel Zuwendung erfährt der Sohn von seinem Vater, dem er während der Abwesenheit der Mutter seine liebevolle Fürsorge angedeihen lässt, indes auch nicht. Julian muss während der Ferienwochen viel Zeit allein verbringen. Sein Vater muss arbeiten, mit Freunden trifft er sich nicht. So vertreibt er sich die Zeit, durch die Umgebung streifend insbesondere im verlassenen Tierclub im Wald, der durch die Überfälle der Maronde-Brüder bis auf Zorro, den versehrten Jagdhund, schon alle Tiere verloren hat. Unterstützt wird Julian nur von dem alten und einsamen Nachbarn Pomrehn, der den ratlosen Jungen einmal auch von der Anwandlung doch einfach abzuhauen, abzubringen sucht. Julian weiß nicht, wie es um das Verhältnis seiner Eltern zueinander bestellt ist, er weiß nur, dass die Mutter krank gewesen ist und Erholung nötig hatte. Ebensowenig weiß er, wie das Verhältnis Marushas zu ihrer Familie, ihrer Mutter, ihrem Stiefvater Gorny, dem Hausbesitzer, und ihren Halbgeschwistern ist, die ihm selben Haus wohnen, er ist allein von Marushas erotischer Präsenz gefangen. Sein Aktionsradius wie auch sein Verständnis davon, was zwischen Marusha und ihrem Freund Johnny und später seinem Vater vorgeht, sind noch begrenzt. Er selbst probiert Küsse vorerst noch an einem Türrahmen, wenn er allein zuhause ist. Sind Julians Ferien schon kaum unbeschwert zu nennen, so enden sie in einer schweren Krise: Während eines sonntäglichen Besuchs des Vaters bei seinem befreundeten Arbeitskollegen Lippek, Julian und Marusha begleiten ihn, macht das Mädchen dem Vater Avancen. Es kommt zu einer gemeinsamen Nacht in Marushas Zimmer, ihr Stiefvater, der zuvor Julian nachgestellt hatte, wirft die Familie daraufhin aus seinem Haus – gerade zu dem Zeitpunkt als Mutter und Schwester zurückkehren. Paradox, dass der zu Schuldgefühlen neigende Junge fürchtet, er trage die Schuld an der Wohnungskündigung, weil er sich den Zudringlichkeiten des Hauseigentümers Gorny zu entziehen gesucht hatte. Mit diesem schmerzhaften Ende der Kindheit Julians endet der Roman. Mit viel Empathie und sprachlich angemessen gelingt es Rothmann überaus überzeugend, das Bewusstsein, die Wahrnehmungs-, Erfahrungs- und Gefühlswelt eines sensiblen zwölfjährigen Jungen, seine spannungsreichen Beziehungen zu gestalten. Dabei entsteht vor allem mittels der zahlreichen Dialoge die authentische und atmosphärisch dichte Darstellung des Bergarbeitermilieus im Ruhrgebiet Mitte der sechziger Jahre. In der Gestaltung gerade dieses Stoffs liegt zweifellos Rothmanns große Stärke. Rätselhaft bleibt der Titel: “Als wüchse hier Licht, junges Licht in winzigen Kristallen”, heißt es gegen Ende des Romans in einer Episoden unter Tage. ThoBie, Der andere Buchladen, Köln.