Zum Buch:
Bis Tam auf eigenen Rollschuhen steht, dauert es eine Weile. Und bis dahin passiert sehr viel. Die Inliner kauft die Teenagerin auf einem polnischen Markt. Dort trifft sie auf ein geheimnisvolles Mädchen, dass in einem SUV eingesperrt ist. Das Mädchen, Hoa Binh, flieht kurze Zeit später.
Tam wohnt in Berlin Lichtenberg. Dort lebt sie mit ihrer Familie, Einwanderer aus Vietnam, in einem Plattenbau. Lichtenberg ist eine Hochburg des Menschenhandels. Vor allem junge Frauen aus Vietnam werden dort als Prostituierte in ganz Europa verschoben. Diesem Schicksal will Hoa Binh entkommen und findet in Tam eine Helferin. Unterstützt werden sie dabei von einem Ensemble präzise charakterisierter AußenseiterInnen.
Der verkehrte Himmel ist ein klug konstruierter Thriller. Der neue Comic von Mikael Ross ist aber auch eine aufschlussreiche Sozialreportage. Und eine Graphic Novel mit überragender künstlerischer Qualität. Das all dies so stimmig zusammenkommt, hat es seit Tschick oder Auerhaus in der deutschsprachigen Literatur nicht mehr gegeben. Schon mit Der Umfall und Goldjunge hatte Ross für Aufsehen gesorgt, Preise eingeheimst und auch im Comic-Land Frankreich hohe Anerkennung und große Verlage gefunden.
Die Qualität des Buches ist zum einen durch seinen klugen Rhythmus, sein nahezu perfektes Timing begründet. Atemberaubende Verfolgungsjagden wechseln mit poetischen Momenten des Stillstands. Es geht um Leben und Tod. Es geht aber auch um die erste Liebe, Sprichwörter und wie man James Bond imitieren kann. Man merkt, wie gründlich Ross recherchiert, wie genau er der Sprache in Schulhöfen und Schrebergärten zugehört hat. Mit dem Plot-Entwickler Jean-Baptiste Coursaud hat Ross in zahllosen Sitzungen an diesem Ton und an diesem Tempo gearbeitet und gefeilt.
Herausragend wird Der verkehrte Himmel durch seine Zeichnungen. Seine Bewunderung für Manga lässt der Berliner Künstler souverän einfließen, Dynamik und Expressivität machen das Buch zu einem Pageturner. Dabei behält der Autor immer die Fäden in der Hand, Vergleiche mit einem Film-Noir sind nicht abwegig.
Der Comic ist (fast) nur in Schwarz-Weiß gezeichnet, die „Farbigkeit“ bekommt er durch subtil gesetzte Raster. Auch die Gestaltung der Sound-Words als weitere Zeichen ist der Mangakultur entlehnt. Ross opfert die Beschreibung seiner Charaktere niemals dem Plot, erklärt aber auch an keiner Stelle etwas zu viel. Und er findet wunderbar stimmige Metaphern, wie die Rollschuhe, auf denen die junge Tam immer kontrollierter an Haltung gewinnt. Ein überragender Comic.
Jakob Hoffmann, Frankfurt