Zum Buch:
In der neunten Nacht ihrer Ehe steht Nunka, die junge Lehrerin, im strömenden Regen vor dem Haus ihrer Eltern, Kopf und Bauch bluten, jetzt auch die Hände, die gegen die verschlossene Tür trommeln. Als sie sich weigert, zu dem gewalttätigen Ehemann zurückzukehren, verliert sie ihre Anstellung an der Herrnhuter Schule von Paramaribo. Die schöne Schwarze Frau flieht und träumt fortan von einem freien Leben, von freier Liebe, von Selbstbestimmung. Roemers Roman, der im Suriname der 1950er-Jahre spielt, war bei Erscheinen 1979 ein Skandal, ist inzwischen Kultbuch der postkolonial-feministischen Literatur und hat nichts an Brisanz und utopistischer Sehnsucht verloren. Sprachlich ein Wunderwerk!
„Nobel und nackt“ will Nunka jetzt leben, verdient ihren Unterhalt an einer öffentlichen Schule in Nieuw Nickerie und lebt in freier Liebe mit Ramses, dem Freund aus Jugendtagen, der wilde Orchideen kultiviert, und dessen bestem Freund Alek. In ihrem Elternhaus tobt weiterhin der alltägliche Kampf zwischen dem Vater, Nachkomme einer versklavten Schwarzen Familie vom Para, die sich zum Schutz vor bösen Geistern Schlangen im Haus hielt, und der Mutter, die zu Hause Kimono trägt und die Kinder im christlichen Glauben erzogen hat. Als Nunka schwanger wird, steht ihr Gabrielle, ihre Hauswirtin, eine verheiratete Niederländerin, zur Seite. Zu ihr fühlt sich die junge Lehrerin mehr als zu jedem Mann hingezogen. Doch dann wird Nunkas Abtreibung publik gemacht, und ihr Leben nimmt ein weiteres Mal eine dramatische Wende.
Ekstatisch, erotisch, durchsetzt von wirren, enthüllenden Träumen und Erinnerungen ist dieser Roman, den der betörend schwere Duft wilder Orchideen durchzieht. Nicht weniger stark und kämpferisch ist der Fiktion gewordene Wunsch und Wille Roemers nach Gleichberechtigung, nach Liebe und Gerechtigkeit, nach einer freien Gesellschaft. Vom Wahnsinn einer Frau spiegelt den Wahnsinn der Gesellschaft, der heute anders, aber allerorten wieder auflebt – gerade deshalb ist es gut, dass der Roman aufs Neue erscheint.
Susanne Rikl, München