Zum Buch:
Zwei Frauen suchen aufrichtig nach dem, was von ihren Träumen übrig geblieben ist. Marianne und Siri leben ein von Grund auf verschiedenes Leben, und doch ist es in einer Beziehung gleich: beide haben es geerbt. Der neue Roman von Angelika Reitzer ist keine sentimentale Lamentation, sondern eine ehrliche Bestandsaufnahme und ein literarischer Genuss.
Paradiesvögel – so ein Mythos, der sich bis Anfang des 19. Jahrhunderts hielt – sind immer in der Luft: Sobald sie fliegen können, bilden sich ihre Füße zurück, und sie können nie mehr auf festem Boden landen. Siri, noch keine 20, zeichnet diese Vögel; ihre Familie ist einige Wochen vor dem Mauerfall über Ungarn aus der DDR nach Westdeutschland geflohen. Als die Eltern mit den beiden jugendlichen Schwestern wenig später nach Potsdam zurückkehren, sind sie mehr als nur Fremde: Ihre Flucht wie auch die Rückkehr werden von vielen Dagebliebenen als Verrat gelesen. Erst viele Jahre später, als erwachsene Frau, wird Siri wieder Boden unter den Füßen haben: in der eigenen Weimarer Wohnung, in der sie mit ihrem Mann Alessandro und ihren beiden Kindern lebt.
Marianne hat Siri in Wien kennen gelernt, zufällig waren sie sich auf der Damentoilette des Konzerthauses begegnet und hatten im Spiegel die Zeichnung des ererbten Lebens im Gesicht der anderen erblickt. Als Siri Marianne auf ihrer von der Großmutter übernommenen Baumschule besucht, merken die Frauen, wie verschieden sie sind: Siri, die eine neue Heimat finden muss, weil die deutsche Geschichte ihre alte vollends zerstört hat; Marianne, die ihre Heimat nie verlassen hat, die in der österreichischen Provinz lebt und arbeitet, seit sie minderjährig und schwanger von der Schule geflogen war.
Mitten aus dem Alltag der beiden Frauen hat Angelika Reitzer diesen Roman geschrieben. Die Autorin beschönigt nicht, sie dramatisiert nicht, sie beschreibt. Die Bildkraft und Sachlichkeit ihres Stils, die schlichte und gleichzeitig poetische Sprache Reitzers haben mir sehr gut gefallen.
Susanne Rikl, München