Zum Buch:
Ein Blick nach Spanien lohnt sich für Comicinteressierte immer. Als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2022 wird die Aufmerksamkeit gewiss auch ein wenig auf die durchaus anspruchsvollen Graphic Novels von der iberischen Halbinsel gerichtet sein. Ein Protagonist dieser Szene ist der Zeichner und Autor Paco Roca (*1969). Er kommt aus Spaniens Comicmetropole Valencia, seine Geschichten sind teilweise verfilmt worden, seine Kunst wurde zuletzt im Institut Valencià d’Art Modern gezeigt und über Spanien erfährt man eine Menge in seinen Comics. In der Graphic Novel Die Heimatlosen geht es um einen republikanischen Freiheitskämpfer im Zweiten Weltkrieg. Rückkehr nach Eden ist in gewisser Weise eine Fortsetzung, zumindest, was den historischen Rahmen anbelangt.
„Wir kämpfen unaufhörlich gegen das Vergessen, das die Vergangenheit auszuradieren versucht“. Wie ein etwas pathetisches Motto steht dieser Satz in der raffinierten und visuell ausgefallenen Einleitung der Geschichte. Ausgangspunkt ist dabei eine Fotografie, ein eher unspektakuläres Familienfoto, das 1946 am Strand von Valencia entstand. Eine der fünf Personen auf dem Bild ist Antonia –Paco Rocas Mutter. Wie wichtig ihr dieses Foto ist, merkt ihr Sohn erst sehr spät, nimmt dann aber die Spurensuche auf, deren Ergebnis dieser kunstvolle Comic ist.
1946 ist der Zweite Weltkrieg vorbei, aber Spanien keineswegs befreit, sondern eine Diktatur. Unter der Herrschaft Francos herrschen Angst, Unterdrückung und nicht zuletzt Hunger. Man schlägt sich durch. Die Familie bildet den Rahmen, die letztlich auch das ökonomische Überleben ermöglicht, der Preis aber ist auch hier ein Geflecht von Abhängigkeiten und Einschränkungen. Die repressive Gesellschaftsordnung und die rigide katholische Moral verbünden sich zu einer unheiligen Allianz, die auch die familiären Regeln prägen, und der Kampf gegen das Vergessen erweist sich schnell als ein Feld voller Projektionen und zurechtgerückter Erinnerungen.
Die Verbindung von Familien- und Gesellschaftsgeschichte gelingt Paco Roca mit einer Vielzahl künstlerischer Mittel, die er nicht auftrumpfend, sondern nachgerade organisch einsetzt. Das Sepia der Originalfotos wird in den Zeichnungen fortgesetzt, subtil ändert sich die Farbe, wenn die Erzählung die Zeitebene verlässt, wird bunt, wenn es um das fantasievolle Spiel der Kinder geht. Die Nacherzählung der Geschichte des biblischen Sündenfalls ist im Stil einer fast klassischen Zeichnung angelegt, die die ganze Breite des Buches opulent nutzt.
Rückkehr nach Eden zeigt, wie souverän Paco Roca die Mittel des Comics einzusetzen versteht, um eine Geschichte zu erzählen, die biografische Perspektive und historische Analyse klug miteinander verbindet.
Jakob Hoffmann, Frankfurt a. M.