Zur Autorin/Zum Autor:
Ray Robinson wurde 1971 in North Yorkshire geboren. Er studierte Creative Wirting und Grafikdesign. Für seine Kurzgeschichten wurde er mehrfach ausgezeichnet. Lily ist sein erster Roman.
Kann man an einer Geschichte, die von Krankheit, Verletzungen und Einsamkeit erzählt Spaß haben? Man kann! Wenn sie gleichzeitig voll von so viel Mut, Trotz und Selbstironie ist und dazu noch in einer unglaublich rasanten und genauen Sprache geschrieben ist.
Lilys Mutter hat weder sie noch ihre Brüder mit besonderer Fürsorge und Liebe umgeben, dazu wechselten die Männer in ihrem Leben zu oft. So sind die Brüder in einem Heim gelandet und Lily, die an epileptischen Anfällen leidet, nachdem die Mutter sie eine Treppe hat herunterfallen lassen, ebenfalls. Die Geschwister haben sich aus den Augen verloren und erst als die Mutter stirbt, taucht Lilys großer Bruder, ein notorischer Zocker, wieder auf. Als der sich nach Las Vegas verdrückt, beginnt Lily die Suche nach ihrem zweiten Bruder, den sie seit der Kindheit nicht mehr gesehen hat und nun in London vermutet.
Das könnte für eine junge Frau etwas halbwegs Normales sein. Wenn da nicht die Anfälle wären, die Lily in unterschiedlicher Stärke und Häufigkeit heimsuchen, manchmal bis zu acht mal am Tag. Wer bei Epilepsie in der Literatur bisher an Dostojewskis sanften Idioten Fürst Myschkin gedacht hat, wird hier mit einer Realität konfrontiert, deren Beschreibung einen den Atem nimmt. Damit ist man auch schon bei der ganz großen Stärke dieses Buches – seiner Sprache. Lily erzählt ihr Leben in einer radikalen, mitleidlosen Krassheit. Auch wenn die Anfälle ihr Leben bestimmen – mit klappernden Gliedmaßen, zerschlagenen Knochen, Pisse, Gedächtnisverlust – besteht sie darauf, Epilepsie zu haben, aber keine Epileptikerin zu sein. Sie hat den wilden Willen, ein Leben außerhalb der Krankheit zu haben mit allem, was dazu gehört: Sehnsucht nach Liebe, Hoffnung auf Normalität, Freundschaft, Feiern und Sex, auch wenn sie für all das bezahlt. Das wunderbare dabei ist, dass diese Lily trotzdem eine große Zartheit hat, dass man hinter all der Rotzigkeit ihre Verletzlichkeit spürt. Ray Robinson ist mit Lily, seinem ersten Roman, ein ganz besonderes Buch gelungen, Gregor Hens hat es bravourös übersetzt und der Verlag hat sich für die Innenausstattung auch noch was einfallen lassen – was will man als Leser mehr? Ruth Roebke, Autorenbuchhandlung Marx & Co, Frankfurt