Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
P.M.

MANETTI LESEN oder VOM GUTEN LEBEN

Untertitel
Roman
Beschreibung

Obwohl das Geheimnis seines Pseudonyms nicht gelüftet ist, dürfte P.M. in der Züricher Szene kein Unbekannter sein. Über die Schweiz hinaus wurde er einem breiteren (Szene-) Publikum mit seinen Büchern “Weltgeist Superstar” (1980) und “bolo’bolo” (1983) bekannt. Gerade ist sein Roman “Manetti lesen oder Vom guten Leben” erschienen, in dem der Erzähler der Ereignisse, Paul Meier, herauszufinden versucht, was es mit den posthum erschienen Notizbüchern eines gewissen Roberto Manetti auf sich hat – ein 550,- Franken teures, 2400 Seiten starkes Werk, 12 edel gebundene Bände in einem Schuber – das sich rasend schnell von einem Geheimtipp zu einer Art Pflichtlektüre entwickelt hatte.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Edition Nautilus, 2012
Format
Gebunden
Seiten
288 Seiten
ISBN/EAN
9783894017613
Preis
22,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

P.M., geboren 1947, lebt und arbeitet in Zürich. Sein Pseudonym geht auf seinen ersten Roman Weltgeist Superstar (1980) zurück und bezieht sich auf die damals häufigsten Initialen im Telefonbuch (Peter /Paul Meier/Müller). P.M. hat eine Reihe von Romanen, Spielen und Sachbüchern verfasst, die sich meist mit gesellschaftlichen Alternativentwürfen beschäftigen: bolo¿bolo (1983), Die Schrecken des Jahres 1000 (1996), Subcoma (2000), AKIBA (2008), Neustart Schweiz (2009). Seit jeher widmet sich P.M. urbanistischen Themen. Er hat in Zürich bei der Gründung von alternativen Wohngenossenschaften aktiv mitgewirkt.

Zum Buch:

„Es wäre schön, wenn die Energien, die heute vorhanden sind, nicht verpuffen würden wie immer wieder in der Vergangenheit. Wenn man nur unsere Ideen auf den Boden bringen könnte, dann könnten wir vielleicht den kapitalistischen Alien, der uns beherrscht, endlich in den Weltraum schießen“, sagte P.M. in einem Interview im März 2012. Obwohl das Geheimnis seines Pseudonyms nicht gelüftet ist, dürfte P.M. in der Züricher Szene kein Unbekannter sein. Über die Schweiz hinaus wurde er einem breiteren (Szene-) Publikum mit seinen Büchern Weltgeist Superstar (1980) und bolo’bolo (1983) bekannt. Gerade ist sein Roman Manetti lesen oder Vom guten Leben erschienen, in dem der Erzähler der Ereignisse, Paul Meier, herauszufinden versucht, was es mit den posthum erschienen Notizbüchern eines gewissen Roberto Manetti auf sich hat – ein 550,- Franken teures, 2400 Seiten starkes Werk, 12 edel gebundene Bände in einem Schuber – das sich rasend schnell von einem Geheimtipp zu einer Art Pflichtlektüre entwickelt hatte. „Und nun habe ich mir also – mit einem Jahr Rückstand – auch meinen Manetti gekauft. Man kann es sich praktisch nicht mehr leisten, Roberto Manetti nicht gelesen zu haben, alle reden von ihm, er ist überall präsent, er hat die Szene (welche auch immer das ist) vollständig durchseucht“, kommentiert der Erzähler dieses Phänomen. Nur gelesen hat Paul Meier das Werk noch nicht, und er will es vorerst auch nicht. Viel mehr interessieren ihn die Motive und Leseerfahrungen derer, die Manetti bereits gelesen haben. Doch plötzlich sind fast alle Leserinnen und Leser, die er befragen möchte, verschwunden. Sind sie Opfer eines Verbrechens geworden oder haben sie sich abgesetzt, um unauffindbar zu sein? Als dann auch noch die Kantonsrätin Rita Vischer verschwindet, macht Peter Meier sich mit deren Ehemann und seinem alten Freund Christian, mit Tochter Jeannine und der Journalistin Nora Nauer auf die Suche nach der Verschwundenen. Erste Hinweise ergeben sich aus der Lektüre der Notizbücher, und bald finden sie heraus, dass verschwindet, wer Manetti ein zweites Mal gelesen hat! Sie folgen Spuren durch etliche Länder, finden Hilfe von unerwarteter Seite, erleiden Rückschläge und sehen sich sogar von der Polizei verfolgt. Die Story nimmt rasant an Fahrt auf, und man fiebert der Auflösung entgegen.

Manetti lesen ist ein komprimierter Parforce-Ritt durch die Utopien und Irrtümer der (nicht nur) schweizerischen Subkultur im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts. Auch wem (wie mir selbst) die Detailkenntnis der Zusammenhänge von Personen, Ideen und Aktionen der vornehmlich beschriebenen Züricher Szene fehlt, verspreche ich eine höchst interessante und amüsante Lektüre. Denn wer sich schon einmal für eine gerechtere Welt und die Verwirklichung gesellschaftlicher Alternativen engagiert, vielleicht an Protestaktionen, Besetzungen, Demonstrationen oder sogar Straßenkämpfen teilgenommen hat, wird in diesem Buch Teile der eigenen Geschichte wiederfinden. P.M.s Buch liefert dabei in dankenswerter Weise keine verklärende Heroisierung des Vergangenen, sondern ist zum Einen ein selbstironischer und reflexiver Anstoß, aus der Vergangenheit und den erfahrenen Ernüchterungen zu lernen, zum Anderen eine Ermutigung, es nicht dabei zu belassen, sonder es doch einfach noch einmal zu versuchen, unsere Weltgemeinschaft zu verändern, vielleicht gemeinsam mit den heutigen Jungen. Denn vielleicht ist ja noch immer etwas dran an Heinrich Heines Blick auf die Jugend: Die Jugend ist uneigennützig im Denken und Fühlen und denkt und fühlt deshalb die Wahrheit am tiefsten und geizt nicht, wo es gilt eine kühne Teilnahme an Bekenntnis und Tat. Die älteren Leute sind selbstsüchtig und kleinsinnig; sie denken mehr an die Interessen ihrer Kapitalien als an die Interessen der Menschheit; sie lassen ihr Schifflein ruhig fortschwimmen im Rinnstein des Lebens und kümmern sich wenig um den Seemann, der auf hohem Meere gegen die Wellen kämpft; oder sie erkriechen mit klebrichter Beharrlichkeit die Höhe des Bürgermeistertums oder der Präsidentschaft ihres Klubs und zucken die Achsel über die Heroenbilder, die der Sturm hinabwarf von der Säule des Ruhms, und dabei erzählen sie vielleicht, daß sie selbst in ihrer Jugend ebenfalls mit dem Kopf gegen die Wand gerennt seien, daß sie sich aber nachher mit der Wand wieder versöhnt hätten, denn die Wand sei das Absolute, das Gesetzte, das an und für sich Seiende, das, weil es ist, auch vernünftig ist, weshalb auch derjenige unvernünftig ist, welcher einen allerhöchst vernünftigen, unwidersprechbar seienden, festgesetzten Absolutismus nicht ertragen will.

Ralph Wagner, Ypsilon Buchladen & Café