Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Nayeri, Dina

Ein Teelöffel Land und Meer

Untertitel
Aus dem Englischen Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Beschreibung

1981. Die Islamische Revolution im Iran zwingt die reiche christliche Familie Hafezi, aus Teheran in die Provinz Gilan am Kaspischen Meer zu ziehen, wo das Leben seinen alten Gang geht und die Mullahs ihre Augen noch nicht überall haben. Dort führen die elfjährigen Zwillinge Saba und Mahtab mit ihren Freunden Ponneh und Reza ein relativ ungebundenes Leben, bis auf einmal alles anders wird: Mahtab und die Mutter verschwinden spurlos. Mahtab sei im Meer ertrunken und die Mutter festgenommen worden, heißt es. Aber Saba hat gesehen, wie Mahtab und die Mutter in Teheran in ein Flugzeug nach Amerika gestiegen sind und sie mit dem Vater zurückgelassen haben.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
mareverlag, 2013
Format
Gebunden
Seiten
528 Seiten
ISBN/EAN
978-3-86648-013-1
Preis
22,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Dina Nayeri wurde während der Islamischen Revolution im Iran geboren und emigrierte als Zehnjährige nach Oklahoma. In Harvard absolvierte sie ihren MBA und Master of Education, in Princeton ihren BA. ‘Ein Teelöffel Land und Meer’ wurde in dreizehn Sprachen übersetzt und als “Barnes and Noble ‘Discover Great New Writers’ book” ausgewählt.

Zum Buch:

1981. Die Islamische Revolution im Iran zwingt die reiche christliche Familie Hafezi, aus Teheran in die Provinz Gilan am Kaspischen Meer zu ziehen, wo das Leben seinen alten Gang geht und die Mullahs ihre Augen noch nicht überall haben. Dort führen die elfjährigen Zwillinge Saba und Mahtab mit ihren Freunden Ponneh und Reza ein relativ ungebundenes Leben, bis auf einmal alles anders wird: Mahtab und die Mutter verschwinden spurlos. Mahtab sei im Meer ertrunken und die Mutter festgenommen worden, heißt es. Aber Saba hat gesehen, wie Mahtab und die Mutter in Teheran in ein Flugzeug nach Amerika gestiegen sind und sie mit dem Vater zurückgelassen haben.

Sabas Vater, ein sanfter, älterer Mann, zieht sich in sich selbst zurück. Im großen Haus der Hafezis gehen die Dorfbewohner als Dauergäste ein und aus und genießen das reichliche Angebot an Speisen, Alkohol und Drogen. Selbst Mullah Ali verschmäht diese Gaben nicht und hält seine schützende Hand über Vater und Tochter – so lange das alles im Geheimen geschieht.

Auch Saba hat sich weitgehend von der Realität abgekoppelt. Ihre Gedanken kreisen manisch um das vermeintliche Leben von Mutter und Schwester im fernen Amerika, das sie sich durch illegal besorgte Bücher, Musikkassetten und Fernsehserien vorzustellen versucht und von dem sie ihren beiden Freunden erzählt, der hübschen Ponneh und dem sanften Reza, in den sie seit Kindertagen verliebt ist. Die drei halten wie Pech und Schwefel zusammen, auch als sie älter werden und ihre Spiele nicht mehr nur kindlich bleiben. Ihr Refugium ist die Vorratskammer im Hause der Hafezis. Dort sitzen sie zusammen, hören Musik aus dem Kopfhörer, trinken verbotenen Alkohol, kiffen und träumen. Saba träumt davon, nach Amerika zu gehen und dort nach ihrer Mutter und Schwester zu suchen; in Ponneh wächst der Widerstand, seitdem ein junger „Pasdar“, ein Mitglied der Sittenpolizei, den sie mehrfach abgewiesen hat, sie in wildem Zorn wegen angeblicher Unzüchtigkeit zusammengeschlagen hat. Nur Reza scheint zufrieden. Ihm reicht es, amerikanische Songs zu hören, sie auf der Setar seines Vaters nachzuspielen und in den Tag herein zu leben. Selbst das leise aufkeimende Begehren kann das Verhältnis der drei nicht stören.

Aber auch in der abgelegenen Provinz werden die Verhältnisse immer enger. Sabas Vater muss seine Religion verleugnen, und die Sittenwächter verfolgen jeden, der sich ihren Vorstellungen von „Moral“ nicht beugt. Und so ist es ein von einem Cousin beobachteter harmloser Kuss zwischen Saba und Reza, der ein Verhängnis heraufbeschwört und Saba dazu nötigt, den alten Abbas zu heiraten.

Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der Handlung des Romans, denn „Ein Teelöffel Land und Meer“ ist viel mehr: Es ist die spannende Geschichte von jungen Menschen, die in einer Diktatur aufwachsen. Es ist die überaus sinnliche Schilderung einer fremden Kultur, ihrer Menschen und ihrer Gebräuche, des Gefüges einer hierarchischen Gesellschaft, die in den Provinzen noch ganz traditionell lebt und einer städtischen Oberschicht, die durchaus westlich orientiert ist. Es ist ein mehrstimmiger Roman. Er erzählt Sabas Leben, die wiederum Geschichten aus Mahtabs Leben erzählt. Khanom Basir, Rezas Mutter und Geschichtenerzählerin, spricht über ihre Sicht der Dinge, und gelegentlich kommt auch eine von Sabas alten „Ersatzmüttern“ zu Wort. Das ist kunstvoll verflochten und liest sich flüssig und spannend bis zum Ende, bis zu dem Moment, an dem Saba sich der Wahrheit stellen kann.

Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt