Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Kopetzky, Steffen

Propaganda

Untertitel
Roman
Beschreibung

John Glueck ist im Krieg. Tief in Deutschland, im dunklen Hürtgenwald in der Eifel, 1944. Vor kurzem noch war er Student in „Jessas Maria, was für ei Mukadatsch hätt dem die Fress poliert!“, ist ein schönerer Auftakt vorstellbar als ein solcher Ausruf im breitesten pennsilfaanisch Deitsch? Wohl nicht.

Die Szenerie könnte dabei im kaum krasseren Kontrast zur knödeligen Heimeligkeit dieses sympathischen Dialektes stehen: Drei pennsilfaani deitsche Soldaten der US-Armee sind im eisigen Hürtgenwald unterwegs und fleddern die steif gefrorenen Leichen deutscher Landser: Orden, Abzeichen, Waffen. Es ist 1944 und die Army ist kurz davor, eine der krachendsten und blutigsten Niederlagen ihrer Geschichte zu kassieren.

Kopetzky macht sich mit Propaganda an den ganz großen Stoff: Der Leser begibt sich mit John Glueck auf eine Reise durch den Zweiten Weltkrieg, lernt Bukowski, Salinger und Hemingway kennen, besucht, auf einen Abstecher, Vietnam und schwitzt schließlich mit Glueck in einem amerikanischen Knast und kommt so in den Genuss eines glänzend inszenierten Lehrstückes, das an zeitaktuellen Bezügen kaum reicher sein könnte.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Rowohlt Berlin, 2019
Format
Gebunden
Seiten
496 Seiten
ISBN/EAN
9783737100649
Preis
25,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Steffen Kopetzky, geboren 1971, ist Autor von Romanen, Erzählungen, Hörspielen und Theaterstücken. Sein letzter Roman «Risiko» (2015) stand monatelang auf der «Spiegel»-Bestsellerliste und war für den Deutschen Buchpreis nominiert. Von 2002 bis 2008 war Kopetzky künstlerischer Leiter der Theater-Biennale Bonn. Er lebt mit seiner Familie in seiner Heimatstadt Pfaffenhofen an der Ilm.

Zum Buch:

„Jessas Maria, was für ei Mukadatsch hätt dem die Fress poliert!“, ist ein schönerer Auftakt vorstellbar als ein solcher Ausruf im breitesten pennsilfaanisch Deitsch? Wohl nicht.

Die Szenerie könnte dabei im kaum krasseren Kontrast zur knödeligen Heimeligkeit dieses sympathischen Dialektes stehen: Drei pennsilfaani deitsche Soldaten der US-Armee sind im eisigen Hürtgenwald unterwegs und fleddern die steif gefrorenen Leichen deutscher Landser: Orden, Abzeichen, Waffen. Es ist 1944 und die Army ist kurz davor, eine der krachendsten und blutigsten Niederlagen ihrer Geschichte zu kassieren.

Einer der drei Soldaten auf Trophäenjagd ist John Glueck, Angehöriger der Abteilung für psychologische Kriegsführung, bestens ausgebildet und gerade auf Grund von gebrochenem Herzen, Amphetaminsucht und latentem Todeswunsch aus Paris an der Front angekommen. Sein Auftrag so simpel wie anspruchsvoll: Für das Sternenbanner, einer Zeitung, die von der Air Force in großen Stückzahlen über deutschen Städten abgeworfen wird, Propaganda für die Amerikaner zu machen. Sein derzeitiges Projekt: Eine Reportage über Hemingway an der Front. Dass dabei so einiges schief gelaufen ist, beweist die Situation. Und wie aus einem zwischen Manie und Depression oszillierenden Alkoholiker, der in seiner Badewanne Handgranaten hortet, ein strahlender Hemingway für den deutschen Leser werden soll, ist ein vollkommenes Rätsel.

Der pennsilfaanische Deitsche Dialekt, der ein fröhliches Gemisch oder viel mehr ein deftiger Eintopf süddeutscher, hauptsächlich pfälzischer Mundarten ist, entwickelte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts, als sich vermehrt Deutsche aufmachten, in den USA ihr Glück zu suchen.

Was im Laufe der nächsten Jahrzehnte entstand, war etwas völlig Neuartiges: Die verschiedenen Mundarten verschmolzen zu einem Dialekt. In diesem Dialekt finden sich, wie Insekten im Bernstein, eingeschlossene und konservierte Worte und Redensarten, die wie Zeitmaschinen wirken: Plötzlich ist da das Feld-Wald-und-Wiesen-Idyll mit schlapphütigem Bauern, Egge und Holzrauch aus einer Zeit, als die Welt noch hinter dem nächsten Hügel endete und die Erzählungen aus der Stadt so etwas waren wie heute die Berichte über Schwarze Löcher. Das Pennsilfaanisch ist etwas wie eine Konservenbüchse, in der noch die Bilder eines freien und romantischen Germany konserviert sind, all die süßen Sehnsuchtsaquarelle, die die Väter und Vätersväter in der Ferne pinselten: Die Heimatutopie der Exilierten.

John Glueck wächst in dieser Community auf, liest viel, gern und mit wilder Passion, möchte selbstverständlich selber schreiben. Er liebt die deutsche Kultur, verliebt sich in das Bild eines freien und selbstständigen Deutschland und beschließt auf Anraten eines restlos besoffenen Charles Bukowski, den er in einem Schreibseminar kennenlernt, als „Propaganda-Soldat“ für diese Idee gegen die Nazis zu kämpfen.

Also bricht er auf, für seine Ideale, seine Ideen in und für Europa zu kämpfen, sieht sie im blutigen Gemetzel der Allerseelenschlacht angekränkelt und in den Nachkriegsjahren und dem sich anschließenden, sinnlosen Vietnamkrieg, der nur allzu deutlich rein wirtschaftlichen Interessen folgte, zu Staub zerfallen: Das hohe Ideal verkommt im Klein-Klein der Geld- und Machtpolitik zu plumper und grobschlächtiger Propaganda.

Propaganda ist ein schwierig Ding, die Dosis macht das Gift. Und gerade hier fragt sich, wer derjenige ist, der das Mischverhältnis bestimmt.

Bei allem bleibt der Grundsatz richtig – der vielbemühte Adorno hat nun eben doch wieder recht –: Ein richtiges Leben im Falschen gibt es nicht.

Kopetzky macht sich mit Propaganda an den ganz großen Stoff: Der Leser begibt sich mit John Glueck auf eine Reise durch den Zweiten Weltkrieg, lernt Bukowski, Salinger und Hemingway kennen, besucht, auf einen Abstecher, Vietnam und schwitzt schließlich mit Glueck in einem amerikanischen Knast und kommt so in den Genuss eines glänzend inszenierten Lehrstückes, das an zeitaktuellen Bezügen kaum reicher sein könnte. Wie nur wenige seiner Zunft schafft es Kopetzky eine gewaltige Menge an historischen Fakten, literarischen Referenzen und politischen Reflexionen zu einem dermaßen unterhaltsamen dramaturgischen Bogen zu verdichten, dass die stetige und folgerichtige Entwicklung des Protagonisten zum Whistleblower zu einem regelrechten Feuerwerk wird. Hier beherrscht einer die Kunst des Erzählens auf beeindruckende Art und Weise. Der Roman leistet in bestem amerikanischen Plauderton alles, was ein wohl konzipierter und ebenso fein ausgeführter Roman so leisten kann: Er ist kluges Portrait der US-amerikanischen Geschichte, die im moralischen Bankrott der amerikanischen Regierung in den 1970er Jahren kulminiert und Plädoyer für die Verantwortung jedes Einzelnen, einen kritischen Zeitgeist zu bewahren.

Johannes Fischer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt