Zum Buch:
Es gibt Bücher, nach deren Ende noch ein ganzer Roman beginnen könnte, und Kleine Dinge wie diese der irischen Autorin Claire Keegan ist ein solches Buch. Man legt es aus der Hand und kann nicht aufhören, daran zu denken, wie es jetzt, nachdem gerade etwas Entscheidendes geschehen ist, weitergehen wird.
Dass er es in seinem leben zu etwas bringen würde, war Bill Furlong nicht in die Wiege gelegt worden. Seine Mutter wurde im Alter von sechzehn Jahren schwanger, einen Vater für das Kind hat sie nie angegeben. Dass ihre Arbeitgeberin Mrs Wilson sie nicht herauswarf, sondern sie und ihren Sohn unterstützte und ihm, als er alt genug war, Geld gab, um sich eine eigene Existenz aufzubauen, war in den 1960er Jahren keinesfalls selbstverständlich – schon gar nicht im erzkatholischen Irland.
Bill Furlong hat einen Kohlen- und Holzhandel, ist verheiratet und hat fünf Töchter. Er und seine Männer arbeiten hart, und er ist stolz auf den bescheidenen Wohlstand, den er mit seinem kleinen Unternehmen erwirtschaftet. Seine Ehe ist glücklich, und bis auf vereinzelte Kritik seiner Frau Eileen, er, der es kaum aushält, das Unglück anderer zu sehen, sei zu weichherzig, führen sie ein zufriedenes Leben. Das Geschäft läuft gut, auch im Jahr 1985, in dem Irland wieder einmal unter einer Wirtschaftskrise leidet, die Schlangen vor dem Arbeitsamt immer länger werden und viele ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Sein bester Kunde ist das Kloster in der Stadt, das eine große Wäscherei betreibt. Dort, so munkelt man, arbeiteten junge Mädchen die “in Schwierigkeiten geraten“ seien. Dort macht er, als er kurz vor Weihnachten eine Bestellung Kohlen abliefert, eine verstörende Entdeckung, die ihn nicht mehr loslässt.
Kleine Dinge wie diese ist eine knappe Erzählung mit Tiefgang. Claire Keegan hat mit Bill Furlong einen schlichten Protagonisten entworfen, der zwischen dem, was allgemein für richtig erachtet wird, und dem, was er selbst dafür hält, entscheiden muss. Und was auch immer er tun wird, wird in der Folge sein gesamtes Leben umkrempeln. Diesen Konflikt mit einfachsten Mitteln, sich langsam aufbauender Spannung, aber ohne forcierte Dramatik zu erzählen, gelingt der Autorin ganz meisterhaft.
Ruth Roebke, Frankfurt