Zum Buch:
Der deutsch georgischen Autorin Nino Haratischwili ist mit ihrem dritten Roman ein großer Wurf gelungen. Ein großer Wurf, weil es ihr spielend gelingt, ein ganzes Jahrhundert mit seinen so unterschiedlichen wie widersprüchlichen Erscheinungen – Zarenzeit und Revolution, zwei Weltkriege, hoffnungsvolle Aufbrüche und brutale Machtansprüche – in einem reichen Tableau zu einer spannenden Geschichte zusammenzuführen.
Niza, die Erzählerin im Roman, ist aus ihrer georgischen Heimat nach Berlin geflohen, wo sie nun schon seit etlichen Jahren lebt und ihrer Karriere nachgeht, aber trotzdem immer noch nicht heimisch geworden ist. Sie entschließt sich, ihrer jungen Nichte Brilka die Familiengeschichte zu erzählen, und vergewissert sich so auch ihrer eigenen Geschichte und Identität.
Es ist die Geschichte ihres Ururgroßvaters, Konditor und genialer Chocolatier, reicher und erfolgreicher Bürger, seiner beiden Töchter Stasia und Christine, die durch die Wirren der Zeiten und Kriege hindurch die Familie zusammenhalten und allen ein Zuhause geben, seines Enkels Kostja, dem es gelingt, fernab von seiner Familie in Moskau unter Stalin Karriere zu machen, seiner Enkelin Kitty, die nach Folter und Abtreibung gezwungen wird, das Land zu verlassen, seiner Urenkelin Elena, Kostjas Tochter, die gegen die Vorstellungen ihrer Eltern aufbegehrt, deren Tochter Niza, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den Westen nach Berlin aufgemacht hat, und ihrer jungen Nichte Brilka, die wie ihre Urgroßmutter am liebsten Tänzerin werden möchte. Eine Geschichte der Familie in sieben Kapiteln, in denen jeweils ein anderes Familienmitglied im Mittelpunkt steht.
Nino Haratischwili gelingt es– wie schon in ihren Theaterstücken – auch hier, komplexe und starke Figuren zu zeichnen. Es sind in erster Linie die selbstbewussten Frauen der Familie, die beeindrucken. Allesamt sind sie lebenssüchtig. Jede auf ihre Weise rebelliert gegen Gewalt, Kälte und Machthunger. Sie sehnen sich nach Liebe und Schönheit. Und auch wenn sie scheitern, an der Politik, an den Umständen, an ihren Nächsten, so bleiben sie doch ihren Träumen und Hoffnungen treu. Das achte Leben, nämlich Brilkas, liegt in der Zukunft, ihre Seiten sind noch unbeschrieben und weiß.
Dieser knapp 1300 Seiten dicke Roman ist nicht nur genau recherchiert, sondern dank seiner klugen Konstruktion auch packend erzählt. Er entwickelt ein ordentliches Suchtpotential und ist damit bestes Lesefutter für lange Winterabende.
Marion Victor, Frankfurt am Main