Zum Buch:
Abstreiten lässt es sich wohl nicht: vollkommen neu und überraschend kommt der neue Roman von Wilhelm Genazino nicht daher. Ein in ausweglose Selbstbetrachtungen versunkener Mann (viel jünger, als er wirkt), umgeben von drei Frauen, die mit ihm eine mehr oder weniger unglückliche Beziehung führen oder doch zumindest geführt haben. Ein „echter Genazino“ eben. Der Held ist diesmal ein freier Architekt. Im Prinzip ist er immer auf der Suche nach Aufträgen, eigentlich aber viel zu träge, um sich auf diese ihm nur äußerlich erscheinende Aufgabe zu besinnen. Es fehlt ihm auch die Begabung, sich in ein Angestelltenverhältnis zu begeben. Er probiert es zwar aus und übernimmt die Stelle seines verstorbenen Freundes (mit dessen Frau er eine Beziehung anfängt) aber es wird alles nichts. Ein blöder, kleiner Betrug bringt ihn schließlich ins Gefängnis.
Genazinos Hauptfigur ist auch diesmal wieder an allen Stellen des Alltags zu übersensibel. Seinen Widerwillen gegen Prosecco an der „Mittelmeertheke“ eines Kaufhauses mag man noch nachvollziehen können, doch schon ein selbstgekaufter Fertigsalat bringt ihn vollkommen aus dem Gleichgewicht. Ist diese überstark empfundene Individualität eine extrem gesteigerte Arroganz? Und wenn schon, Sympathie für den Protagonisten ist ein zweitrangiges Kriterium.
Faszinierend ist dagegen die strenge Konzentration auf die Ich-Perspektive des Erzählers, die – mit einer Stimme – innere und äußere Vorgänge gleichermaßen beschreibt und mit solcher Perfektion und Sprachfreude um den richtigen, atmosphärisch angemessenen Ausdruck ringt, dass sich die Lektüre allein deswegen lohnt. Mitunter ist das ausgesprochen witzig, häufig schmerzlich und manchmal nervt es auch gewaltig. Ganz oft aber führt es dazu, dass man Sätze laut lesen oder sogar notieren möchte. Und auch ein weiteres „Genazino-Thema“ kommt nicht zu kurz: die Veränderung der Welt, freilich durch ewig melancholisch-sarkastisch getönte Brillengläser betrachtet. Der aus dem Angebot verschwundene Rollmops im Fischgeschäft mag dafür ein Indiz sein. Fazit: auch diesen Roman von Genazino sollte man unbedingt wieder lesen!
Claudia Biester, Offenbach am Main