Zum Buch:
Wilhelm Genazino ist ein wunderbarer Beobachter. Seien es bestimmte Redewendungen oder Verhaltensweisen der Menschen, er betrachtet und durchleuchtet sie, stellt sie in ein neues Licht oder gibt ihnen oftmals eine außergewöhnliche Interpretation. Überrascht stellen wir dann fest, dass ihm dafür wenige präzise Sätze genügen, nicht selten von poetischem Klang und bezaubernder Schönheit. Der Ich-Erzähler in Genazinos neuem Roman ist ein höflicher und intelligenter, im Grunde sehr schüchterner, aber auch ehrgeiziger junger Mann von 17 Jahren, der gerade vom Gymnasium geflogen ist. Wie es mit ihm weiter gehen soll, hat er sich noch nicht überlegt. Selbstverständlich wohnt er bei seinen Eltern, und daher wundert es auch nicht, dass seine Mutter es in die Hand nimmt, ihm eine Lehrstelle zu besorgen. Er landet nach mehreren gescheiterten Anläufen schlussendlich bei einer Spedition, aber das spielt für ihn im Grunde keine Rolle. So egal wie ihm seine berufliche Zukunft ist, so klar ist für ihn, dass er schreiben möchte. Als sich dem Literaturbegeisterten die Chance eröffnet, kleine Auftragsarbeiten für ein Lokalblatt zu schreiben, greift er zu. Tagsüber erledigt er seine Arbeit als kaufmännischer Lehrling, nachts schreibt er seine kleinen Artikel über die Eröffnung eines Schwimmbades, einen Dia-Vortrag zu den Fjorden Norwegens, eine Rex Gildo-Autogrammstunde in einem Schallplattengeschäft oder einen Je-Ka-Mi Abend. – Sie wissen nicht was ein Je-Ka-Mi-Abend ist? Allein schon deshalb lohnt sich die Lektüre dieses herrlichen kleinen Buches, das uns mitten in die 60er Jahre versetzt, und uns ermöglicht, den erwartungsvollen jungen Mann ein Stück weit auf seinem Weg in die Welt der Erwachsenen zu begleiten. Dabei umreißt der Titel des Romans den Horizont der Wünsche des Protagonisten: “Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman”!
Ralph Wagner, Ypsilon Buchladen & Café, Frankfurt