Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Gasdanow, Gaito

Das Phantom des Alexander Wolf

Untertitel
Roman. Aus dem Russischen von Rosemarie Tietze
Beschreibung

Mit sechzehn Jahren hat der Erzähler im russischen Bürgerkrieg einen Mann erschossen. Eine Tat, die ihn sein weiteres Leben lang verfolgt. Jahre später liest er ein Buch, in dem dieser Mord detailliert beschrieben wird. Er ist überzeugt, der Autor der Erzählung müsse sein damaliges Opfer sein, und setzt alles daran, ihn ausfindig zu machen.

„Das Phantom des Alexander Wolf“, 1947 erstmals erschienen und nun hier auf Deutsch zu lesen, ist eine echte Entdeckung, und man kann nur hoffen, dass es nicht der einzige Roman von Gaito Gasdanow bleiben wird, der hier erscheint.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Hanser Verlag, 2012
Format
Gebunden
Seiten
192 Seiten
ISBN/EAN
978-3-446-23853-4
Preis
17,90 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Gaito Gasdanow, 1903 in St. Petersburg geboren und 1971 in München gestorben, gilt als einer der wichtigsten russischen Exilautoren des frühen 20. Jahrhunderts. Seit 1923 lebte er im Exil in Paris, wo er begann, regelmäßig literarische und journalistische Texte zu veröffentlichen. Wegen der existentialistischen Prägung seines Werks wurde Gasdanow wiederholt als der „russische Camus“ bezeichnet. Sein Werk umfasst zahlreiche Romane und Erzählungen. Das Phantom des Alexander Wolf erscheint bei Hanser erstmals in deutscher Übersetzung.

Zum Buch:

Es ist erstaunlich, wie viele seit Jahren vergessene Autoren und Werke es immer wieder zu entdecken gibt. Hier ist es der russische Autor Gaito Gasdanow, dessen 1947 in Frankreich auf Russisch erschienener Roman „Das Phantom des Alexander Wolf“ erst jetzt in deutscher Sprache vorliegt. Der 1903 in St. Petersburg geborene Autor lebte seit 1923 im Exil in Paris, und im Exilantenmilieu spielt auch sein Roman.

„Von allen meinen Erinnerungen, von all den unzähligen Empfindungen meines Lebens war die bedrückendste die Erinnerung an den einzigen Mord, den ich je begangen habe“. Mit diesem Satz beginnt das Buch. Das gesamte Leben des Ich-Erzählers kreist um diese Schlüsselszene, als er, sechzehnjährig, während des russischen Bürgerkriegs mit zwei Schüssen einen Reiter tötete und mit dessen weißem Pferd flüchtete. Als hätte diese Tat nicht nur den anderen, sondern auch im eigenen Inneren etwas getötet, lebt er seitdem ein eher schales Leben, arbeitet in Paris lustlos als Journalist, hat belanglose Affairen und spürt eine zunehmende Sinnlosigkeit. Dann fällt ihm der Erzählungsband des englischen Autors Alexander Wolf in die Hände, und in der Geschichte „Adventures in the Steppe“ findet er sein Erlebnis im Bürgerkrieg in allen Einzelheiten beschrieben. Fieberhaft beginnt er, nach dem Autor zu forschen, in dem er den Reiter auf dem weißen Pferd vermutet – allerdings ohne Ergebnis.

Kurz darauf begegnet er in Paris bei einem Boxkampf Jelena, der ersten Frau, die nicht nur seine Sinne, sondern auch sein Herz berührt, und damit verliert alles andere vorerst an Bedeutung. Auch Jelena scheint eine Leerstelle in ihrem Inneren zu haben, und es ist gerade diese seltsame Abwesenheit, die den Erzähler an ihr fasziniert. Dann erzählt ihm ein flüchtiger Bekannter, auch er ein Russe, er habe Alexander Wolf im Bürgerkrieg halbtot aufgelesen und gesund gepflegt …

Mehr von der Handlung sei hier nicht erzählt, schon gar nicht der überraschende Schluss. Das folgende Geschehen läuft ab, wie von einer rätselhaften Schicksalsmechanik getrieben. Eins greift ins andere, und alles, was sich ereignet, wird durch den Spiegel der Erinnerung gesehen, der zunehmend blinder zu werden scheint. Jede Situation ist wie ein Vexierbild, sie kann das eine, aber auch das andere bedeuten; alles Geschehene wird gedeutet und umgedeutet.

Gaito Gasdanow ist ein großartiger Erzähler. Sein Stil ist schlank, klar und elegant. Er spürt den Gedanken und Empfindungen seines Protagonisten bis in die feinsten Verästelungen nach und ist doch kein allwissender Erzähler. Es ist ein bisschen wie bei Henri James‘ „The Turn of the Screw“: alles geht immer noch eine Umdrehung weiter, aber es gibt kein Ankommen in irgendeiner Wahrheit. Das liest sich fesselnd wie ein Krimi – und ist doch ungleich vielschichtiger. Ein großartiges Buch!

Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt